ICC-Vizestaatsanwalt drängt in Guinea auf Fortschritte im Verfahren zum Massaker vom 28. September 2009

Der stellvertretende Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), Mame Mandiaye Niang, hat seine fünfte offizielle Mission in der Republik Guinea abgeschlossen. Der Besuch fand vom 17. bis 19. November 2025 statt und diente der Bewertung der nationalen Strafverfahren zu den Ereignissen vom 28. September 2009 im Stadion von Conakry.

Besuch der ICC-Delegation in Conakry

Damals wurden Hunderte Zivilpersonen getötet, verletzt oder Opfer sexualisierter Gewalt, als Sicherheitskräfte eine Oppositionskundgebung gewaltsam auflösten. Unter Verweis auf das Komplementaritätsprinzip überwacht das Büro des Anklägers des IStGH seit Jahren die Aufarbeitung durch die guineische Justiz. Grundlage ist ein Memorandum of Understanding, das am 28. September 2022 zwischen dem Büro des Anklägers und der Regierung Guineas unterzeichnet wurde. Beide Seiten verpflichteten sich darin, nationale Rechenschaftsprozesse zu unterstützen und zu verstetigen.

Nach Angaben des Büro des Staatsanwalts führte Niang in Conakry hochrangige Gespräche mit Premierminister Amadou Oury Bah, Justiz- und Menschenrechtsminister Yaya Kaïraba Kaba sowie Vertretern von Opferverbänden und der Zivilgesellschaft. Die Delegation traf außerdem Vertreter des Büros des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte.

Fokus auf Berufungsverfahren und ergänzende Verfahren

Im Zentrum des Besuchs stand der Stand der nationalen Verfahren nach den bereits ergangenen Verurteilungen in erster Instanz. Der stellvertretende Chefankläger betonte die Notwendigkeit weiterer Fortschritte, insbesondere beim Berufungsverfahren im Hauptprozess und bei der Einleitung ergänzender Verfahren zu den Ereignissen vom 28. September 2009.

Niang stellte klar, dass der Abschluss der Verfahren nicht nur für die Opfer und die Bevölkerung Guineas zentral sei, sondern auch für die internationale Gemeinschaft. Das Verfahren werde weiterhin als wichtiger Präzedenzfall nationaler Justiz bei der Ahndung internationaler Verbrechen wahrgenommen. Er rief die guineischen Behörden dazu auf, alle notwendigen Schritte zu ergreifen, damit die Berufungsinstanz ihre Arbeit aufnehmen und abschließen kann und weitere, sachlich zusammenhängende Verfahren eingeleitet werden.

Der Besuch fällt in eine Phase, in der der Beginn des Berufungsverfahrens sich verzögert und Fragen zum weiteren Fortgang des Prozesses aufwirft. In der guineischen Öffentlichkeit und unter Beobachtern sorgt insbesondere der Umstand für Diskussionen, dass der ehemalige Chef der Übergangsregierung, Moussa Dadis Camara, bereits eine präsidentielle Begnadigung erhalten hat, obwohl die Berufungsinstanz sich mit der Sache noch nicht befasst hat.

Gemeinsame Verantwortung und Rolle der guineischen Behörden

Die guineische Regierung und das Justizministerium betonten im Rahmen des Besuchs die Bedeutung der Zusammenarbeit mit dem IStGH. Justizminister Yaya Kaïraba Kaba verwies darauf, dass die Mission in den Rahmen der Partnerschaftsvereinbarung mit der Strafgerichtsbarkeit falle, die eine kontinuierliche Begleitung des Verfahrens vorsehe.

Premierminister Bah Oury hob hervor, dass die Regierung die zweite Phase des Prozesses politisch und institutionell unterstützen wolle. Er verwies auf das Ziel, die Glaubwürdigkeit der guineischen Justiz zu stärken und das Vertrauen der internationalen Gemeinschaft zu festigen. Die Exekutive wolle sicherstellen, dass Verfahren fortgeführt und im Einklang mit rechtsstaatlichen Standards durchgeführt werden.

Niang begrüßte die von Regierungsvertretern erneuerten Zusagen, die Berufungsverfahren im Hauptprozess weiterzuführen und die Einleitung weiterer Verfahren vorzubereiten. Gleichzeitig erinnerte er daran, dass alle Beteiligten eine gemeinsame Verantwortung tragen, sicherzustellen, dass diejenigen, die schwere Verbrechen begangen haben, zur Rechenschaft gezogen werden.

Opferrechte, Reparationen und Erinnerungspolitik

Ein weiterer Schwerpunkt des Besuchs war die Frage der Reparationen und der Anerkennung der Opfer. Niang würdigte ein präsidiales Dekret zu Entschädigungsmaßnahmen als einen wichtigen Schritt in Richtung Wiedergutmachung und nationaler Versöhnung. Er ermutigte die Behörden, bei der praktischen Umsetzung der Reparationen weitere Fortschritte zu machen.

In den Gesprächen mit Opferverbänden und zivilgesellschaftlichen Akteuren unterstrich Niang, dass die Opfer im Zentrum des Prozesses stehen. Er würdigte den anhaltenden Dialog zwischen dem Büro des Anklägers, den betroffenen Gemeinschaften und der Zivilgesellschaft. Zugleich stellte er in Aussicht, dass das Büro zu einem späteren Zeitpunkt zur Aufarbeitung und Bewahrung der Erinnerung beitragen könne, etwa durch die Übertragung von Archiven des Anklägerbüros zur Situation in Guinea.

Die Frage der historischen Aufarbeitung der Ereignisse vom 28. September 2009 wurde dabei ausdrücklich als Teil eines breiteren Verständnisses von Gerechtigkeit und nationaler Aussöhnung adressiert. Ziel ist es, Wahrheit zu etablieren, institutionelle Lehren zu ziehen und künftige Gewaltverbrechen zu verhindern.

Komplementarität als Prüfstein nationaler Justiz

Der IStGH verfolgt die Entwicklungen in Guinea weiterhin unter dem Gesichtspunkt der Komplementarität. Solange die nationalen Behörden ernsthaft und in guter Absicht ermitteln und verfolgen, bleibt die Verantwortung für das Verfahren in Conakry. Der Umgang mit den Berufungsverfahren, weiteren Anklagen und der Umsetzung von Reparationen wird damit zu einem zentralen Prüfstein für die Leistungsfähigkeit der guineischen Justiz.

Niang betonte, dass der Prozess nur dann seine volle Wirkung entfalten könne, wenn er vollständig und transparent fortgeführt werde. Für die Opfer sei entscheidend, dass die Verfahren nicht ins Stocken geraten und dass bereits erreichte Fortschritte nicht durch politische Entscheidungen relativiert werden.

Zum Abschluss seiner Mission dankte der stellvertretende Chefankläger den guineischen Behörden für ihre Kooperation und für die Zusage, das Büro des Anklägers fortlaufend über konkrete Schritte zur Fortführung der Verfahren zu informieren.

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