Die deutsch-afrikanische Entwicklungspolitik steht vor großen Herausforderungen – von nachhaltiger Wirtschaftsentwicklung über Klimaschutz bis hin zur Förderung stabiler Partnerschaften. Sanae Abdi, Bundestagsabgeordnete der SPD, bringt in diese Debatte nicht nur politische, sondern auch praxisnahe Erfahrung ein: Vor ihrem Einzug in den Bundestag arbeitete sie als Projektmanagerin bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und kennt die Dynamiken der Entwicklungszusammenarbeit aus erster Hand.
Als Obfrau und Sprecherin der SPD im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie Mitglied im Unterausschuss für internationale Klima- und Energiepolitik setzt sich Abdi für eine faire und nachhaltige Kooperation mit afrikanischen Staaten ein. Besonders ihr Engagement für die Maghreb-Region spiegelt sich in ihrer Rolle als stellvertretende Vorsitzende der Parlamentariergruppe der Maghreb-Staaten wider.
Im Gespräch mit FOKUS AFRIKA spricht Sanae Abdi über die Zukunft der deutsch-afrikanischen Entwicklungszusammenarbeit, die Rolle der Klimapolitik und die Frage, wie Deutschland eine gleichberechtigte und nachhaltige Partnerschaft mit Afrika gestalten kann.
Schwerpunkt: Sahel, Migration, Frauen und Kolonialismus
FOKUS AFRIKA: Welche drei Erfolge hat die SPD in der deutsch-afrikanischen Entwicklungspolitik erreicht?
Sanae Abdi: “Ein zentraler Erfolg der SPD in der Entwicklungspolitik ist das Engagement Deutschlands in der Sahel-Region. Diese Zusammenarbeit zeigt, wie Entwicklungspolitik zur Stabilität und Sicherheit beiträgt: Angesichts von Gewalt, Armut, Krisen und Dürre setzen wir uns dafür ein, dass Menschen nicht gezwungen werden, gefährliche Fluchtrouten zu nehmen oder Terrorgruppen beizutreten. So leisten wir einen wichtigen Beitrag zur Sicherheit der Region.
Ein weiteres Beispiel erfolgreicher sozialdemokratischer Entwicklungspolitik ist die Förderung legaler Arbeits- und Fachkräftemigration. Mit Zentren für Migration und Entwicklung in Ländern wie Ghana, Tunesien, Marokko, Ägypten und Nigeria unterstützen wir Menschen bei der regulären Migration nach Deutschland und Europa. Wir beraten Fachkräfte zu den Anforderungen des Arbeitsmarktes und bieten Fortbildungen und Sprachkurse an.
Im Rahmen ihrer #Sommertour nahm MdB @_sanaeabdi heute an der Kasse im REWE-Markt in Köln-Brück Platz – und das für den guten Zweck! Außerdem auf der Agenda: Themen wie #Regionalität oder #Fachkräftemangel. Danke für den Besuch & die tatkräftige Unterstützung beim Kassieren! pic.twitter.com/APql31Xd2D
— REWE Group Public Affairs (@pa_rewegroup) August 22, 2024
Besonders wichtig ist auch unser Engagement für eine gerechte Transformation zu einer ressourcenschonenden Lebensweise, die „Just Transition“. In der MENA-Region fördern wir die Dekarbonisierung und die politische sowie wirtschaftliche Teilhabe von Frauen, die dort nach wie vor unterrepräsentiert sind. Hier steht die Gerechtigkeit für betroffene Regionen und Menschen im Mittelpunkt.
Themenübergreifend ist eine weitere positive und längst überfällige Veränderung die intensivere Auseinandersetzung mit der Überwindung kolonialer Kontinuitäten. Wir arbeiten daran, bestehende Ungerechtigkeiten in der Entwicklungszusammenarbeit abzubauen und unseren afrikanischen Partnern endlich auf Augenhöhe zu begegnen. Wir wissen: Das koloniale Erbe hat die internationale Zusammenarbeit lange geprägt – und das muss sich ändern.”
Sanae Abdi: “Herausforderungen gemeinsam mit afrikanischen Ländern bewältigen”
FOKUS AFRIKA: Was bleibt die zentrale Herausforderung in der Weiterentwicklung der deutsch-afrikanischen Beziehungen? Und wie wollen Sie diese in der nächsten Legislaturperiode lösen?
Sanae Abdi: “Die letzten dreieinhalb Jahre haben uns gezeigt, dass wir mit unseren Strategien und Prioritäten die richtigen Grundlagen gelegt haben, um unser Engagement in Afrika fortzusetzen. Dennoch bleiben die anhaltenden Konflikte und Krisen – wie die im Sudan mit mehr als zwölf Millionen Vertriebenen – die größte Herausforderung. Diese erfordern nicht nur schnelle Reaktionen, sondern auch langfristige Lösungen.
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Besonders wichtig ist die enge Zusammenarbeit mit unseren multilateralen Partnern, insbesondere den UN-Organisationen, um die dringend benötigte Hilfe vor Ort zu leisten und gleichzeitig nachhaltige Perspektiven zu schaffen. Diese Herausforderungen können wir nur gemeinsam mit unseren afrikanischen Partnerländern bewältigen.
Darüber hinaus brauchen wir eine ausreichende Finanzierung, um unsere Ziele zu erreichen. Deshalb setzen wir uns neben der Einhaltung der ODA-Quote für eine gerechte internationale Finanzarchitektur ein, die Reformen umfasst, und streben die Einführung einer Milliardärssteuer an, um zusätzliche Mittel zu generieren.”
Diaspora-Gemeinschaften müssen stärker gefördert werden
FOKUS AFRIKA: Wie können die afrikanischen Diaspora-Gemeinschaften in Zukunft stärker als Brückenbauer in der Arbeit des BMZs eingebunden werden?
Sanae Abdi: “Die afrikanischen Diaspora-Gemeinschaften sind eine wertvolle Ressource für die entwicklungspolitische Arbeit in Deutschland. Ihr umfangreiches Wissen, ihre Netzwerke und Sprachkenntnisse tragen entscheidend zur Verbesserung der Zusammenarbeit mit afrikanischen Partnerländern bei.
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Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) unterstützt bereits das Engagement von Menschen mit Migrationsgeschichte in Deutschland mit Programmen wie „Migration & Diaspora“ und „Migration entwicklungspolitisch gestalten“. Das BMZ bietet erfahrenen Fachkräften mit Migrationshintergrund zudem die Möglichkeit, ihr Wissen in ehrenamtlichen Kurzzeiteinsätzen in Partnerländern einzubringen. Ein aktuelles Beispiel hierfür ist das Engagement von Diaspora-Fachkräften im Gesundheitswesen, wie aktuell in Syrien. Denn in Deutschland arbeiten fast 6.000 Ärztinnen und Ärzte mit syrischem Pass, von denen sich viele bereits mit Hilfsangeboten gemeldet haben.
Dennoch gibt es noch Herausforderungen: Institutionelle und finanzielle Unterstützung für die Diaspora-Gemeinschaften sowie bürokratische Hürden müssen verbessert werden. Hier sehe ich Potenzial für gezielte Optimierungen, um die Rolle der Diaspora als Brückenbauer noch stärker zu fördern.”
1986 in Tetouan in Marokko geboren
FOKUS AFRIKA: Sie selbst stammen aus Marokko. Dort haben sich Beziehungen in den letzten Jahren verbessert. Welche Potenziale könnte man hier noch entfalten? Und wie müsste sich die marokkanische Community positionieren, um weitere Synergien zu erzeugen?
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Sanae Abdi: “Die Beziehungen zwischen Marokko und Deutschland haben sich in den letzten Jahren in der Tat erheblich verbessert, und ich begrüße ausdrücklich den Kurs beider Seiten, der auf eine noch engere und partnerschaftliche Zusammenarbeit abzielt, besonders im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit. Wir haben bereits wichtige Fortschritte gemacht, doch es bleiben weiterhin Herausforderungen, insbesondere in Bereichen wie Jugendarbeitslosigkeit und der Verringerung des Entwicklungsgefälles zwischen städtischen und ländlichen Regionen. In diesen Bereichen setzen wir auf gezielte Maßnahmen, um nachhaltige Verbesserungen zu erzielen.
Ein bedeutender Schritt war beispielsweise die Initiierung und Formalisierung der „Marokkaner in Deutschland“-Initiative, die es ermöglicht, die Interessen der marokkanischen Diaspora gezielt zu bündeln und aktiv in den Dialog mit verschiedenen Akteuren einzubringen. Um das Potenzial dieser bilateralen Beziehungen weiter zu entfalten, ist es entscheidend, dass sich die marokkanische Community weiterhin als Brückenbauer positioniert – als Akteur, der sowohl in Deutschland als auch in Marokko die Zusammenarbeit in verschiedenen Bereichen fördert und Synergien erzeugt. Dabei kann die Diaspora eine Schlüsselrolle spielen, indem sie ihre Netzwerke und ihr Wissen in beide Richtungen einbringt und die wirtschaftliche, kulturelle sowie soziale Vernetzung zwischen unseren Ländern weiter stärkt.
Als erste deutsch-marokkanische Bundestagsabgeordnete kenne ich die marokkanische Community in Deutschland sehr gut. Ich weiß, dass viele Mitglieder der Diaspora nicht nur hervorragend in Deutschland integriert sind, sondern auch enge Verbindungen zu ihrem Herkunftsland pflegen. Marokko ist als direkter Nachbar Europas ein äußerst wichtiger Partner für Deutschland und die EU – und diese enge Verbindung zwischen beiden Ländern spiegelt sich auch in der marokkanischen Diaspora wider. Deshalb wünsche ich mir für die Zukunft eine weiterhin starke und vertrauensvolle Zusammenarbeit.”
Sanae Abdi: “Entwicklungspolitik ist eine langfristige Investition in Frieden”
FOKUS AFRIKA: Wie schauen Sie persönlich rückblickend auf die letzte Legislatur und was wünschen Sie sich für die kommenden vier Jahre?
Sanae Abdi: “Die Zusammenarbeit mit den Fachkolleginnen und Kollegen der GRÜNEN und der FDP war in unserem Bereich überwiegend konstruktiv und gut. Das war in anderen Politikbereich bekanntermaßen deutlich herausfordernder. Wir konnten einige Anträge und parlamentarische Initiativen auf den Weg bringen und haben uns im Ausschuss mit wichtigen Gesprächspartnern zu den zentralen Themen ausgetauscht.
Nichtsdestotrotz können wir mit Blick auf die geplanten Kürzungen der Haushaltsmittel nicht zufrieden sein. Der Etat spiegelt die zentrale Rolle, die die Entwicklungszusammenarbeit in unserem internationalen Engagement spielt, nicht wider. Auch die anhaltenden Diskussionen um die Umsetzung des nationalen bzw. internationalen Lieferkettengesetzes beobachte ich mit Unverständnis. Es kann doch nicht sein, dass wir als Gesellschaft immer noch darüber diskutieren, ob Unternehmen Verantwortung für die Arbeitsbedingungen in ihren globalen Lieferketten übernehmen sollten. Für mich ist klar: Wir müssen die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entlang der Lieferketten stärken.
In den kommenden vier Jahren möchte ich dafür kämpfen, dass Entwicklungszusammenarbeit als langfristige Investition in globale Gerechtigkeit und Frieden anerkannt wird, die uns allen zugutekommt. Ich will dafür sorgen, dass wir die notwendigen finanziellen Mittel bereitstellen, um wirkliche Veränderungen zu bewirken. Außerdem werde ich mich weiterhin dafür einsetzen, dass wir mit unseren internationalen Partnern auf Augenhöhe zusammenarbeiten, um gemeinsam echte Verbesserungen zu erreichen.”