G20-Gipfel in Johannesburg: Südafrikas Agenda, deutsche Rolle und Afrikas Erwartungen

An diesem Wochenende treffen sich die Staats- und Regierungschefs der G20 in Johannesburg. Erstmals findet ein G20-Gipfel auf dem afrikanischen Kontinent statt. Die Präsidentschaft liegt 2025 bei Südafrika, das den Gipfel unter das Motto „Solidarität, Gleichheit, Nachhaltigkeit“ gestellt hat. Die Gruppe der Zwanzig umfasst 19 Staaten, die Europäische Union sowie die Afrikanische Union und repräsentiert damit rund zwei Drittel der Weltbevölkerung und einen Großteil der globalen Wirtschaftsleistung.

Die Bundesregierung betrachtet die G20 als zentrales Forum zur Abstimmung zwischen führenden Industrie- und Schwellenländern. Sie will den Gipfel als Krisenreaktionsformat erhalten und nutzt das Treffen, um wirtschaftspolitische Koordinierung und gemeinsame Antworten auf globale Herausforderungen voranzubringen. Laut Angaben der Bundesregierung spielt dabei insbesondere die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Afrika eine wachsende Rolle. Neben Bundeskanzler Friedrich Merz gehört Bundesfinanzminister Lars Klingbeil zur deutschen Delegation.

Schwerpunkte der südafrikanischen G20-Präsidentschaft

Die südafrikanische G20-Präsidentschaft rückt vier Schwerpunktthemen in den Mittelpunkt: Katastrophenvorsorge, Schuldentragfähigkeit von Entwicklungsländern, Energiewende und kritische Rohstoffe. Diese Agenda knüpft an die vorangegangenen Präsidentschaften Indonesiens, Indiens und Brasiliens an, die die ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen aufstrebender Schwellenländer stärker in den Vordergrund rückten.

Wie die Stiftung Wissenschaft und Politik analysiert, steht Südafrika damit in der Tradition einer stärker global-südorientierten Agenda, agiert aber in einem Umfeld wachsender geopolitischer Spannungen, nationaler Rückzugsbewegungen und abnehmender internationaler Kompromissbereitschaft.

Schulden, Transformation und kritische Rohstoffe

Im Zentrum vieler afrikanischer Anliegen stehen die Schuldenkrise und der schrumpfende fiskalische Spielraum zahlreicher Staaten. Die Diskussionen in Johannesburg knüpfen an die G20-Instrumente zur Schuldenrestrukturierung und an Forderungen nach einem faireren Zugang zu Finanzierung an. Zugleich rückt die Frage in den Fokus, wie sich wirtschaftliche Transformation, Digitalisierung und sozialer Ausgleich unter Bedingungen hoher Verschuldung gestalten lassen.

Ein zweites Konfliktfeld betrifft kritische Rohstoffe. Südafrika und andere afrikanische Staaten drängen auf mehr lokale Wertschöpfung, indem Rohstoffe stärker im eigenen Land verarbeitet und veredelt werden. Dem steht ein globaler Trend zu „Friendshoring“ und zur Renationalisierung von Lieferketten gegenüber, bei dem industrielle Abnehmer ihre Bezugsquellen stärker nach politischen und sicherheitspolitischen Kriterien auswählen.

Deutschlands Rolle und der „Compact with Africa“

Für Deutschland ist der Gipfel in Johannesburg eine Gelegenheit, multilaterale Bindekräfte in einer politisch angespannten Lage zu stärken. Die Bundesregierung hebt den Anspruch hervor, in der G20 an einer regelbasierten Zusammenarbeit festzuhalten.

G20 wird aus deutscher Sicht sowohl als Koordinierungsforum für die wirtschaftliche Zusammenarbeit als auch als Krisenreaktionsformat verstanden, das bei Finanzkrisen, Schuldenproblemen oder globalen Schocks handlungsfähig bleiben soll.

Die Initiative „Compact with Africa“

Besonderes Gewicht legt Berlin auf die G20-Initiative „Compact with Africa“. Sie wurde 2017 auf Vorschlag des damaligen Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble ins Leben gerufen und soll Reformprozesse in afrikanischen Staaten unterstützen, um das Investitionsklima zu verbessern und mehr private Kapitalströme nach Afrika zu lenken. Dem Compact gehören unter anderem Ägypten, Äthiopien, Angola, Benin, Burkina Faso, Côte d’Ivoire, die Demokratische Republik Kongo, Ghana, Guinea, Marokko, Ruanda, Sambia, Senegal, Togo und Tunesien an.

In Johannesburg ist ein Sondertermin zum „Compact with Africa“ vorgesehen, zu dem der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa und Bundeskanzler Merz gemeinsam einladen. Die Initiative ist damit ein wichtiges Element der deutsch-afrikanischen Wirtschaftsbeziehungen im Rahmen der G20 und verknüpft Fragen der Investitionssicherheit mit der Debatte um Schulden, Wachstum und Transformation.

Ein Gipfel ohne die „Großen Drei“

Den Gipfel prägt eine außergewöhnliche Konstellation. Die Präsidenten der drei großen Nuklearmächte – der USA, Chinas und Russlands – bleiben dem Treffen fern. Erwartbar war das Ausbleiben des russischen Präsidenten Wladimir Putin, gegen den ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs vorliegt. Er wird durch einen hochrangigen Vertreter aus dem Präsidialamt ersetzt. Chinas Präsident Xi Jinping lässt sich wie bei früheren Gipfeln von Premier Li Qiang vertreten.

Besondere Aufmerksamkeit zieht die Haltung der USA auf sich. US-Präsident Donald Trump hat angekündigt, kein Regierungsmitglied zu entsenden. In der innenpolitischen Debatte wird dies unter anderem mit Verweis auf angebliche Übergriffe gegen Weiße in Südafrika und Kritik an den inhaltlichen Prioritäten der südafrikanischen Präsidentschaft begründet.

Die angekündigten Schwerpunkte der US-Präsidentschaft 2026 mit Fokus auf konventionelles Wirtschaftswachstum und fossile Energieträger markieren einen deutlichen Bruch mit der Agenda der vorherigen G20-Prozesse.

Risiken und Spielräume für die G20

Mit dem Fernbleiben der Spitzen der „Großen Drei“ droht dem G20-Gipfel ein Reputationsschaden, der als Bedeutungsverlust interpretiert werden kann. Gleichzeitig eröffnet sich die Möglichkeit, globale Herausforderungen ohne die unmittelbare Prägung durch bestehende Großmachtkonflikte zu diskutieren. In Johannesburg versammelte Staats- und Regierungschefs können Themen wie Schulden, Klimafinanzierung, Rohstoffpolitik und Reformen der globalen Governance in einem vergleichsweise weniger polarisierten Rahmen verhandeln.

Afrikanische Perspektiven und Erwartungen

Aus afrikanischer Sicht stehen mehrere strukturelle Fragen im Vordergrund. Viele Staaten leiden unter hohen Schuldenlasten, steigenden Zinskosten und einem systemisch begrenzten Zugang zu langfristiger, günstiger Finanzierung. Der UN-Generalsekretär António Guterres spricht von einer globalen Finanzarchitektur, die insbesondere afrikanische Länder benachteiligt und ihnen den Spielraum zur Umsetzung von Entwicklungs- und Klimazielen nimmt. Er fordert die G20 auf, Zusagen aus der internationalen Entwicklungsfinanzierung umzusetzen, die Kreditvergabekapazität multilateraler Entwicklungsbanken zu erhöhen und die Finanzierungskosten für Staaten des Globalen Südens zu senken.

Neben Schulden geht es afrikanischen Staaten um politische Repräsentation. Trotz der formalen Mitgliedschaft der Afrikanischen Union in der G20 bleibt der Kontinent in vielen globalen Institutionen unterrepräsentiert. Guterres bezeichnet dies als historisches Ungleichgewicht, das in Johannesburg adressiert werden soll. Die G20 könnte nach seiner Darstellung dazu beitragen, dieses Ungleichgewicht zu korrigieren und eine inklusivere, repräsentativere und effektivere globale Wirtschaftssteuerung zu ermöglichen.

Klimapolitik und Energiewende

Ein weiterer Schwerpunkt ist die Klimapolitik. Guterres weist darauf hin, dass die Staatengemeinschaft den Pfad zur Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad nicht einhält. Aus seiner Sicht erfordert die Schließung der Anpassungslücke eine erhebliche Ausweitung der Mittel für Klimaanpassung und Resilienz. Die G20-Staaten stehen unter Druck, Zusagen zur Verdopplung der Klimaanpassungsfinanzierung umzusetzen und entsprechende Instrumente an die Bedürfnisse vulnerabler Länder anzupassen.

Zugleich kritisiert der UN-Generalsekretär, dass trotz steigender globaler Investitionen in erneuerbare Energien bislang nur ein sehr geringer Anteil dieser Mittel nach Afrika fließt. Er betont, „Afrika sollte im Zentrum dieser sauberen Energierevolution stehen“. Für afrikanische Staaten verbindet sich diese Forderung mit der Debatte über lokale Wertschöpfung bei kritischen Rohstoffen, Fragen sozialer Gerechtigkeit und dem Anspruch auf verlässliche Beteiligung an den strategischen Entscheidungen der Energiewende.

Inklusiver Multilateralismus unter Druck

Südafrika präsentiert seine G20-Präsidentschaft als Beitrag zu einem inklusiveren Multilateralismus. Das Land versucht, unterschiedliche wirtschaftliche und politische Lager miteinander ins Gespräch zu bringen und Themen wie Schuldenumstrukturierung, Klimafinanzierung, Rohstoffpolitik und soziale Ungleichheit aus Sicht des Globalen Südens stärker auf die Tagesordnung zu setzen. Begleitet wird der Gipfel von Dialogformaten wie Business 20, Media 20 und Think Tank 20, deren Empfehlungen bisher nur begrenzt in konkrete Verpflichtungen auf Regierungsebene überführt wurden.

Johannesburg als Testfall für Global Governance

Vor diesem Hintergrund erhält der G20-Gipfel in Johannesburg eine doppelte Bedeutung. Er ist ein Testfall dafür, inwieweit globale Foren unter Bedingungen verschärfter geopolitischer Konkurrenz handlungsfähig bleiben, und zugleich eine Bühne, auf der afrikanische Interessen in Schulden-, Klima- und Rohstofffragen sichtbarer artikuliert werden können. Die Kombination aus südafrikanischer Agenda, deutscher Schwerpunktsetzung auf den „Compact with Africa“ und den Forderungen des UN-Generalsekretärs macht Johannesburg zu einem wichtigen Bezugspunkt für die weitere Diskussion über die Rolle Afrikas in der globalen Wirtschafts- und Finanzordnung.

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