Im Osten der Demokratischen Republik Kongo hat eine neue Offensive der Alliance Fleuve Congo/Mouvement du 23 mars (AFC/M23) die Kampfhandlungen in Süd-Kivu erneut ausgeweitet. Die Eskalation folgt nur wenige Tage nach diplomatischen Vereinbarungen, die auf Deeskalation zielten, darunter die am 4. Dezember in Washington unterzeichneten „Washington Accords“ zwischen der DR Kongo und Ruanda sowie das Doha-Rahmenabkommen vom 15. November zwischen Kinshasa und der AFC/M23. UN-Vertreter warnen nun vor einer regionalen Zuspitzung mit „unkalkulierbaren Folgen“, während die humanitäre Lage sich laut UN und Hilfsorganisationen weiter verschlechtert.
AFC/M23-Offensive in Süd-Kivu und Warnung vor „regionaler Flare-up“
Jean-Pierre Lacroix, Untergeneralsekretär der Vereinten Nationen für Friedenseinsätze, sprach im Sicherheitsrat von der Wiederkehr des „Gespensts einer regionalen Eskalation mit unkalkulierbaren Folgen“. Er verwies darauf, dass die territoriale Ausdehnung der AFC/M23 und die Schwächung staatlicher Autorität im Osten zentrale Prinzipien wie Einheit, Souveränität und territoriale Integrität der DR Kongo unter Druck setzten. Zugleich nehme die Regionalisierung des Konflikts zu, auch durch grenzüberschreitende Bewegungen von Vertriebenen und Kämpfern sowie durch die direkte oder indirekte Einbindung von Akteuren aus Nachbarstaaten.

Lacroix betonte, die jüngsten politischen Fortschritte hätten „echte Hoffnung“ auf Entspannung erzeugt. Gleichzeitig warnte er, dass wiederholte Verstöße gegen Waffenruhen und die neue Dynamik am Boden diese Fortschritte gefährdeten. Wörtlich sagte er: „Die wachsende Lücke zwischen politischen Zusagen und ihrer tatsächlichen Umsetzung vor Ort untergräbt die Glaubwürdigkeit von Friedensprozessen und verstärkt das Gefühl des Verlassenseins bei der Zivilbevölkerung.“
Washington Accords und Doha Framework: Diplomatie trifft auf Realität vor Ort
Der aktuelle Gewaltausbruch setzt die Glaubwürdigkeit der jüngsten Vereinbarungen unter Druck. Nach UN-Angaben wurden die Washington Accords am 4. Dezember zwischen der DR Kongo und Ruanda unterzeichnet. Zusätzlich existiert das Doha Framework Agreement, das am 15. November zwischen Kinshasa und der AFC/M23 vereinbart worden sein soll. Beide Prozesse sollten zur Deeskalation beitragen, stehen aber nun im Schatten neuer Kämpfe.
“Rwanda is leading the region towards increased instability and war. We will use the tools at our disposal to hold to account spoilers to peace,” U.S🇺🇸 Ambassador to the @UN Mike Waltz tells #UNSC as M23 rebel group in #DRC🇨🇩 threatens to derail President Trump's Peace efforts.… pic.twitter.com/dofj45lszC
— Kennedy Wandera (@KennedyWandera_) December 12, 2025
Im Sicherheitsrat äußerte der Vertreter der Vereinigten Staaten, Mike Waltz, Enttäuschung über die Entwicklung. Die US-Seite habe die Unterzeichnung des Abkommens in Washington in der Vorwoche unterstützt, sei nun jedoch „unglaublich enttäuscht“ über das Verhalten Ruandas in den letzten Tagen. Waltz erklärte, Kigali unterstütze die M23-Rebellen, die Ruanda „vollständig kontrolliere“. Diese Darstellung steht im Kontext wiederkehrender Vorwürfe, wonach die M23 von Ruanda unterstützt werde. Ruanda hat entsprechende Vorwürfe laut UN-Darstellungen wiederholt zurückgewiesen.
MONUSCO als Schutzanker – und gleichzeitig unter Druck
Mit der Eskalation rückt die UN-Friedensmission MONUSCO erneut ins Zentrum. Lacroix berichtete, MONUSCO leiste direkte physische Schutzmaßnahmen für rund 100.000 Vertriebene in der Nähe von UN-Stützpunkten, insbesondere in Nord-Kivu und Ituri. Die Mission arbeite mit täglichen Patrouillen, Frühwarnsystemen und engem Austausch mit lokalen Gemeinschaften. Zugleich setze MONUSCO stärker auf eine präventive Haltung, die auf Abschreckung, schnelle Reaktion und dauerhafte Präsenz rund um Vertriebenenstandorte abziele.

Gleichzeitig schilderte Lacroix erhebliche Einschränkungen: Bewegungsfreiheit, Treibstoffversorgung sowie Wasser- und Stromzugänge seien durch Restriktionen der AFC/M23 beeinträchtigt. Auch die Schließung des Flughafens von Goma begrenze Mobilität, erschwere Rotationen und beeinträchtige humanitären Zugang. Hinzu kommen nach UN-Angaben finanzielle Engpässe und Personalreduzierungen im Kontext einer breiteren Liquiditätskrise der UN.
Der Sicherheitsrat steht zudem kurz vor einer Entscheidung zur Verlängerung des MONUSCO-Mandats. Vor diesem Hintergrund betonte Lacroix, dass diplomatische Fortschritte nun „in reale Verbesserungen vor Ort“ übersetzt werden müssten.
Humanitäre Lage: Verletzte, zerstörte Infrastruktur, massive Vertreibung
UN und Hilfsorganisationen berichten von zivilen Opfern, zerstörter Infrastruktur und einer hohen Zahl an Vertriebenen. Der Konflikt habe „Hunderttausende“ aus ihren Häusern getrieben. In Briefings wurde die Belastung der Gesundheitsversorgung als besonders dramatisch beschrieben.
Der Notfallmediziner Javid Abdelmoneim, internationaler Präsident von Médecins Sans Frontières (MSF), erklärte vor dem Sicherheitsrat, die Gesundheitssysteme im Osten der DR Kongo seien „am Kollabieren“, ausgelöst durch Gewalt, Massenvertreibung und eingeschränkten humanitären Zugang. Er sagte: „MSF-Teams erleben weiterhin erschütternde Ausmaße an Gewalt, Vertreibung und Entbehrung. Diese Krise lässt nicht nach.“

MSF schilderte zudem Angriffe und Behinderungen medizinischer Arbeit. In den Briefings wurden Fälle genannt, in denen Ambulanzen unter Waffengewalt gestoppt, Einrichtungen gestürmt sowie ein Gesundheitszentrum geplündert und zerstört worden sei.
Sexualisierte Gewalt und Krankheitsausbrüche als Mehrfachkrise
MSF und UN-Vertreter hoben sexualisierte Gewalt als systematisch und weit verbreitet hervor, besonders zulasten von Frauen und Mädchen. Abdelmoneim berichtete, in den ersten sechs Monaten des Jahres hätten fast 28.000 Überlebende in von MSF unterstützten Einrichtungen in Ostkongo medizinische Hilfe gesucht. Er bezifferte dies als durchschnittlich mehr als 150 Personen pro Tag. Ein Teil der Betroffenen komme zu spät für präventive Behandlungen, andere erreichten medizinische Versorgung gar nicht.
Parallel dazu verweisen die Briefings auf eine Zunahme von Infektionskrankheiten. Genannt wurden Cholera-Fälle von mehr als 38.000 im laufenden Jahr, bei denen sich die Zahl der Todesfälle im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt habe. Zudem breiteten sich Masern weiter aus, während Malaria-Ausbrüche bei eingeschränkter Diagnostik und Behandlung zunähmen.
Positionen von DR Kongo, Ruanda und Burundi im Sicherheitsrat
Kinshasa: „Offensive“ kurz nach Washington, Forderung nach Durchsetzung von Resolution 2773
Die Außenministerin der DR Kongo, Thérèse Kayikwamba Wagner, verurteilte im Sicherheitsrat eine erneute Offensive, die sie als von Ruanda unterstützten Angriff von M23-Kräften darstellte, gestartet kurz nach dem Washington-Abkommen. Sie erklärte, Kinshasa habe „in gutem Glauben“ auf diplomatische Prozesse gesetzt, darunter US-, katarisch- und afrikanisch unterstützte Initiativen. Gleichzeitig warnte sie vor fortgesetzten Angriffen, dem Risiko grenzüberschreitender Effekte und einer weiteren Verschärfung der humanitären Lage.
Sie forderte den Sicherheitsrat auf, die Resolution 2773 (2025) durchzusetzen, das MONUSCO-Mandat zu stärken und Konsequenzen bei anhaltenden Verstößen zu ziehen. In den Briefings wurde außerdem erwähnt, dass Kinshasa Sanktionen gegen Verantwortliche und weitere Maßnahmen ins Spiel brachte, darunter stärkere Kontrolle von Waffenlieferungen sowie Schritte gegen die ökonomische Verwertung von Ressourcenströmen, die als ruandisch deklariert würden.
Kigali: Forderung nach „strikter Unparteilichkeit“, Hinweis auf Banyamulenge
Ruandas Vertreter Karoli Martin Ngoga wies Vorwürfe der Unterstützung der M23 zurück und betonte, ein erneuertes MONUSCO-Mandat müsse Washington- und Doha-Prozesse durch strikte Unparteilichkeit stützen. Er erklärte, Fortschritte hingen vom politischen Willen aller Parteien ab.
Kigali verwies außerdem auf eine aus seiner Sicht schwere Schutzkrise der Banyamulenge-Gemeinschaft in Süd-Kivu. Genannt wurden Vertreibung, Tötungen und Blockaden, die ruandischer Darstellung zufolge durch kongolesische Kräfte, burundische Einheiten und verbündete Milizen verursacht würden. Der Vertreter sprach von frühen Indikatoren für mögliche Massenverbrechen und forderte eine politische Lösung.
Burundi: Verurteilung der Einnahme von Uvira und Sorge um Grenzverletzungen

Burundis Vertreter Zéphyrin Maniratanga verurteilte die berichtete Einnahme von Uvira durch M23-Kräfte, die er als von der ruandischen Armee unterstützt bezeichnete. Er sprach von wiederholten Verstößen gegen Resolution 2773 und warnte vor erheblichem zivilen Leid und massiver Flucht in sein Land.
Burundi äußerte zudem Sorge über grenzüberschreitende Artillerie- und Drohnenangriffe, die burundisches Territorium getroffen hätten. Maniratanga rief zur vollständigen Umsetzung der Washington-Verpflichtungen auf und verlangte mehr humanitäre Hilfe für Geflüchtete, unter anderem in Gatumba und Cibitoke.
Sicherheitsrat: Resolution 2773 und Debatte über Konsequenzen

In den UN-Darstellungen wird Resolution 2773 (2025) als zentraler Bezugspunkt genannt, verbunden mit Forderungen nach sofortigem Ende der Kampfhandlungen und nach Umsetzung der politischen Vereinbarungen. Mehrere Beiträge stellten heraus, dass nicht die Formulierung von Vereinbarungen das Problem sei, sondern deren Durchsetzung und Umsetzung.
In den Debatten wurden zudem die erheblichen Finanzierungsdefizite der humanitären Hilfe thematisiert. In den Briefings hieß es, der Humanitarian Response Plan für die DR Kongo sei nur zu 22 Prozent finanziert. Vor diesem Hintergrund warnte Lacroix, dass die Fähigkeit von MONUSCO zur schnellen Reaktion und zur Ausweitung des Schutzes zusätzlich belastet werde, wenn Ressourcen weiter schrumpften.