Deutschland liefert Khaled Mohamed Ali El Hishri an den Internationalen Strafgerichtshof aus

Im Kontext der anhaltenden Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) zur Situation in Libyen ist ein weiterer zentraler Beschuldigter in die Obhut des Gerichtshofs überstellt worden. Am 1. Dezember 2025 ist der libysche Staatsangehörige Khaled Mohamed Ali El Hishri in die Haft des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag überführt worden.

Festnahme in Deutschland und Überstellung nach Den Haag

Nach Angaben des International Criminal Court war El Hishri bereits am 16. Juli 2025 von den Behörden der Bundesrepublik Deutschland festgenommen worden. Grundlage war ein unter Verschluss erlassener Haftbefehl der Vorverfahrenskammer I des IStGH vom 10. Juli 2025. Die Festnahme erfolgte auf Ersuchen des Gerichtshofs und im Rahmen der Verpflichtungen Deutschlands aus dem Rom-Statut, dem Gründungsvertrag des IStGH.

Bis zur Überstellung nach Den Haag verblieb El Hishri in deutscher Haft, während nationale Verfahren nach Artikel 59 des Rom-Statuts durchgeführt wurden. Dieser Artikel regelt, unter welchen Bedingungen ein Staat eine durch den Gerichtshof angeforderte Festnahme und Übergabe vollzieht.

Vorwürfe: Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen

Dem Beschuldigten werden nach Darstellung des Gerichtshofs Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen zur Last gelegt. El Hishri soll einer der ranghöchsten Verantwortlichen des Mitiga-Gefängnisses gewesen sein. In der Einrichtung in der Nähe von Tripolis sollen in den vergangenen Jahren Tausende Menschen über lange Zeiträume inhaftiert gewesen sein.

Der IStGH führt aus, El Hishri werde verdächtigt, selbst unmittelbar, durch Befehle oder in überwachender Funktion an Taten beteiligt gewesen zu sein, die als Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen eingestuft werden. Dazu zählen insbesondere Tötungsdelikte, Folter, Vergewaltigung und andere Formen sexualisierter Gewalt. Die ihm vorgeworfenen Handlungen sollen zwischen Februar 2015 und Anfang 2020 in Libyen begangen worden sein.

Die strafrechtliche Verantwortung, die der Gerichtshof prüft, umfasst sowohl individuelle Tatbeteiligung als auch mögliche Befehls- oder Organisationsverantwortung innerhalb der Gefängnisstruktur. Mitiga steht seit Jahren im Fokus von Berichten über schwere Menschenrechtsverletzungen, willkürliche Haft und Misshandlungen von Gefangenen verschiedener politischer und militärischer Lager.

Nächste Schritte: Erste Anhörung vor der Vorverfahrenskammer

Nach der Überstellung nach Den Haag wird der nächste formale Schritt ein erster Auftritt El Hishris vor der zuständigen Vorverfahrenskammer sein. Für diese sogenannte „initial appearance“ wird in Kürze ein Termin festgelegt.

In dieser Anhörung hat die Kammer mehrere Punkte zu klären. Sie bestätigt zunächst die Identität des Beschuldigten und stellt fest, in welcher Sprache er dem Verfahren folgen kann. Außerdem überprüft sie, ob El Hishri über die ihm vorgeworfenen Taten informiert wurde und ob er seine Rechte nach dem Rom-Statut kennt. Dazu zählen unter anderem das Recht auf Verteidigung, das Recht auf anwaltlichen Beistand sowie die Unschuldsvermutung bis zur rechtskräftigen Verurteilung.

Parallel dazu schreitet das Vorverfahren voran, in dessen Rahmen die Anklagebehörde Material vorlegt und die Vorverfahrenskammer darüber entscheidet, ob ausreichende Anhaltspunkte für die Bestätigung der Anklagepunkte vorliegen.

Rolle Deutschlands und Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof

Der Kanzler des Internationalen Strafgerichtshofs, Osvaldo Zavala Giler, dankte nach der Überstellung den beteiligten nationalen Behörden für die „starke und kontinuierliche Kooperation“ mit dem Gerichtshof. Deutschland spielte in diesem Fall eine zentrale Rolle, indem es den unter Verschluss stehenden Haftbefehl vollzog, den Beschuldigten festnahm und ihn nach Abschluss der innerstaatlichen Schritte an den IStGH übergab.

Der Fall verdeutlicht die Verflechtung nationaler und internationaler Strafverfolgung im Rahmen des Rom-Statuts. Der Gerichtshof ist auf die Zusammenarbeit der Vertragsstaaten angewiesen, um Beschuldigte festzunehmen, Beweise zu sichern und Haftbefehle umzusetzen. Deutschland gehört zu den Staaten, die dem Statut früh beigetreten sind und über ein eigenes Ausführungsgesetz verfügen, das die Zusammenarbeit mit dem IStGH regelt.

Hintergrund: Libyen-Dossier des Internationalen Strafgerichtshofs

Verweisung durch den Sicherheitsrat und Libyens Zustimmungsakt

Die Situation in Libyen gehört zu denjenigen Fällen, die nicht durch einen Vertragsstaat, sondern durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen an den Internationalen Strafgerichtshof verwiesen wurden. Mit Resolution 1970 vom 26. Februar 2011 übergab der Sicherheitsrat das Libyen-Dossier an die Anklagebehörde des IStGH. Am 3. März 2011 kündigte die Anklage die Eröffnung einer formellen Untersuchung an.

Am 12. Mai 2025 hat Libyen darüber hinaus die Zuständigkeit des Gerichtshofs für sein Territorium ausdrücklich akzeptiert. Diese Zustimmung erstreckt sich auf den Zeitraum ab dem Jahr 2011 bis Ende 2027. Damit verbindet sich eine erneute Bestätigung der Zuständigkeit des IStGH für schwere internationale Verbrechen, die in diesem Zeitraum in Libyen begangen wurden, und schafft einen klaren zeitlichen Rahmen für laufende und zukünftige Ermittlungen.

Weitere ausstehende Haftbefehle

Der Fall El Hishri ist eingebettet in eine breitere Serie von Verfahren, die den Libyen-Komplex betreffen. Nach Angaben des Gerichtshofs bestehen derzeit neun weitere öffentliche Haftbefehle in dieser Situation. Sie richten sich gegen Saif Suleiman Sneidel, Osama Elmasry Njeem, Abdurahem Khalefa Abdurahem Elshgagi, Makhlouf Makhlouf Arhoumah Doumah, Nasser Muhammad Muftah Daou, Mohamed Mohamed Al Salheen Salmi, Abdelbari Ayyad Ramadan Al Shaqaqi, Fathi Faraj Mohamed Salim Al Zinkal sowie Saif Al-Islam Gaddafi.

Diese offenen Haftbefehle betreffen ebenfalls Vorwürfe schwerer internationaler Verbrechen, die in unterschiedlichen Phasen des libyschen Konflikts seit 2011 begangen worden sein sollen. Das Verfahren gegen El Hishri ergänzt diese laufenden Maßnahmen, indem es einen mutmaßlich hochrangigen Verantwortlichen eines Haft- und Repressionsapparates in direkte Reichweite der internationalen Justiz bringt.

Bedeutung für die strafrechtliche Aufarbeitung der Libyen-Konflikte

Die Überstellung Khaled Mohamed Ali El Hishris nach Den Haag fügt sich in die längerfristige Linie der strafrechtlichen Aufarbeitung von Gewalt, Repression und systematischen Menschenrechtsverletzungen in Libyen seit 2011 ein. Sie markiert zugleich den Übergang eines Falles aus der nationalen Zuständigkeit eines europäischen Vertragsstaates des Rom-Statuts in die unmittelbare Verantwortung der internationalen Gerichtsbarkeit, die aus der Verweisung des Sicherheitsrates und der späteren Zustimmung Libyens hervorgeht.

Die weitere Entwicklung des Verfahrens hängt nun von den Schritten der Vorverfahrenskammer, der Anklagebehörde und der Verteidigung ab. Parallel bleiben die übrigen Haftbefehle, die den Libyen-Komplex betreffen, bestehen und bilden den Rahmen für eine breitere strafrechtliche Auseinandersetzung mit mutmaßlichen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen in dem nordafrikanischen Staat.

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