Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat am 12. November 2025 die kenianische Völkerrechtlerin Phoebe Okowa zur Richterin am Internationalen Gerichtshof (IGH) gewählt. Die Wahl erfolgte in mehreren Runden und fand – wie vorgesehen – parallel, aber unabhängig vom Sicherheitsrat statt. Okowa folgt auf den somalischen Richter Abdulqawi Ahmed Yusuf und übernimmt den Rest seiner Amtszeit, die am 5. Februar 2027 endet.
Vier Kandidaten und vier Wahlgänge bis zur Entscheidung
Zur Wahl standen vier Kandidaturen, die von nationalen Gruppen nominiert worden waren: Taoheed Olufemi Elias (Nigeria), Charles Chernor Jalloh (Sierra Leone), Paul Kuruk (Ghana) und Phoebe Okowa (Kenia). Wie aus der Sitzungsdokumentation der UN-Generalversammlung hervorgeht, war ein absoluter Mehrheitsschwellenwert von 97 Stimmen erforderlich.
Im ersten Wahlgang erhielt Okowa 78 Stimmen, Jalloh 58, Elias 40 und Kuruk 9 Stimmen. Da keine Kandidatin und kein Kandidat die nötige absolute Mehrheit erreichte, wurde ein zweiter Wahlgang notwendig. Kuruk wurde nach der ersten Runde zurückgezogen und erschien nicht mehr auf dem Stimmzettel.
Im zweiten Wahlgang erhöhte sich Okowas Stimmenzahl auf 91, Jalloh erhielt 66 Stimmen und Elias 31. Die absolute Mehrheit wurde erneut verfehlt, sodass ein dritter Wahlgang folgte.
Spannungsfeld zwischen Generalversammlung und Sicherheitsrat
Im dritten Wahlgang sicherte sich Phoebe Okowa schließlich mit 104 Stimmen eine klare absolute Mehrheit in der Generalversammlung. Charles Chernor Jalloh kam auf 61 Stimmen, Taoheed Olufemi Elias auf 23. Parallel dazu stimmte jedoch der Sicherheitsrat in seiner eigenen Sitzungmehrheit für Jalloh.
Nach Artikel 11 des Statuts des Internationalen Gerichtshofs müssen sich Generalversammlung und Sicherheitsrat auf dieselbe Person einigen. Solange keine Übereinstimmung vorliegt, sind weitere Wahlgänge erforderlich. Aus diesem Grund wurde eine vierte Runde in der Generalversammlung anberaumt, nachdem feststand, dass die Mehrheit im Sicherheitsrat zunächst auf Jalloh entfiel.
Während dieses Verfahrens zog Nigeria seine Kandidatur zurück. In der vierten Runde trat die Generalversammlung nur noch mit zwei Namen auf dem Stimmzettel in die Abstimmung ein: Phoebe Okowa und Charles Chernor Jalloh.
Entscheidende vierte Runde
In der abschließenden vierten Abstimmung wurden 188 Stimmzettel abgegeben, davon ein ungültiger. Zwei Staaten enthielten sich, 185 nahmen an der Wahl teil. Die erforderliche absolute Mehrheit lag weiterhin bei 97 Stimmen.

Phoebe Okowa erhielt nun 106 Stimmen, Charles Chernor Jalloh 79. Damit lag Okowa sowohl in der Generalversammlung als auch im Sicherheitsrat vorn. Nach Erfüllung der formalen Voraussetzungen wurde sie zur Richterin an den Internationalen Gerichtshof gewählt. Ihre Amtszeit beginnt mit dem Tag der Wahl und läuft bis zum 5. Februar 2027.
Kriterien und Anforderungen für IGH-Richterinnen und -Richter
Vor Beginn der Wahlgänge erläuterte die Präsidentin der Generalversammlung, Annalena Baerbock, die rechtlichen Rahmenbedingungen. Sie erinnerte an Artikel 2 des IGH-Statuts, wonach die Mitglieder des Gerichtshofs „ohne Unterschied der Staatsangehörigkeit aus Personen von hohem sittlichen Ansehen“ gewählt werden, die entweder die Voraussetzungen für das höchste Richteramt in ihrem Heimatstaat erfüllen oder als Völkerrechtlerinnen und Völkerrechtler von anerkannter Kompetenz gelten.
Zudem verwies sie auf Artikel 9 des Statuts. Danach sollen die Wahlberechtigten nicht nur die individuelle Qualifikation der Kandidierenden berücksichtigen, sondern auch darauf achten, dass „die wichtigsten Formen der Zivilisation und die Hauptrechtssysteme der Welt“ im Gericht insgesamt vertreten sind.
Profil von Richterin Phoebe Okowa

Phoebe Okowa ist Professorin für Völkerrecht und Director of Graduate Studies an der Queen Mary University of London. 2021 wurde sie in die Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen gewählt.
Ihr rechtswissenschaftlicher Werdegang begann mit einem Bachelor of Laws an der University of Nairobi. Anschließend absolvierte sie einen Bachelor of Civil Law sowie eine Promotion in Rechtswissenschaft an der University of Oxford. Mit der Wahl Okowas stärkt Kenia seine Präsenz in einem der zentralen Organe der internationalen Rechtsordnung.
Zusammensetzung und Mandat des Internationalen Gerichtshofs
Der Internationale Gerichtshof, häufig als „World Court“ bezeichnet, ist das wichtigste judikative Organ der Vereinten Nationen. Er entscheidet über völkerrechtliche Streitigkeiten zwischen Staaten und erstellt Gutachten für UN-Organe und Sonderorganisationen. Der Gerichtshof steht allen Parteien seines Statuts offen. Sämtliche UN-Mitgliedstaaten sind automatisch Vertragsparteien des Statuts.
Der IGH besteht aus 15 Richterinnen und Richtern. Um Kontinuität zu gewährleisten, wird alle drei Jahre jeweils ein Drittel der Richterbank neu gewählt. Wiederwahl ist möglich. Durch die Nachwahl Okowas bleibt die Anzahl der Richterinnen und Richter unverändert.
Zu den derzeit amtierenden Mitgliedern gehören unter anderem Peter Tomka (Slowakei), Ronny Abraham (Frankreich), Xue Hanqin (China), Dalveer Bhandari (Indien), Georg Nolte (Deutschland), Hilary Charlesworth (Australien), Leonardo Nemer Caldeira Brant (Brasilien), Juan Manuel Gómez Robledo (Mexiko), Sarah H. Cleveland (Vereinigte Staaten), Bogdan-Lucian Aurescu (Rumänien), Dire Tladi (Südafrika) und Mahmoud Daifallah Hmoud (Jordanien). Ihre Mandate laufen gestaffelt in den Jahren 2027, 2030 oder 2033 aus.
PRESS RELEASE: The General Assembly and the Security Council of the @UN elected Ms Phoebe Okowa, of Kenyan nationality, as a Member of the #ICJ, with immediate effect.
— CIJ_ICJ (@CIJ_ICJ) November 13, 2025
Link to the press release: https://t.co/InOYjs9uBl pic.twitter.com/6Pfw4MCIv5
Die Wahl Phoebe Okowas fügt sich in dieses Gefüge ein und sichert die Fortführung der Arbeit des Gerichtshofs mit einer voll besetzten Richterbank.
Formale Unterlagen und Wahlverfahren
Die Mitgliederstaaten lagen im Vorfeld der Wahl mehrere Dokumente vor. Dazu gehörten ein Memorandum des Generalsekretärs zur aktuellen Zusammensetzung des Gerichtshofs und zum Wahlverfahren in Generalversammlung und Sicherheitsrat, eine Liste der von nationalen Gruppen nominierten Kandidaturen sowie die Lebensläufe der Bewerberinnen und Bewerber.
Die getrennten, aber voneinander abhängigen Wahlgänge in Generalversammlung und Sicherheitsrat sind darauf ausgelegt, sowohl die Mehrheitsverhältnisse der UN-Mitglieder insgesamt als auch die besonderen Zuständigkeiten des Sicherheitsrats zu berücksichtigen. Durch die vier Wahlrunden wurde sichergestellt, dass die schließlich gewählte Person in beiden Organen eine absolute Mehrheit erhielt.