Mit der Resolution 2797 hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am 31. Oktober 2025 einen grundlegenden Kurswechsel im Westsahara-Konflikt vollzogen. Der Beschluss, den das US-Außenministerium eingebracht hatte, benennt erstmals ausdrücklich den marokkanischen Autonomieplan als realistischste Grundlage für eine politische Lösung. Damit wird die bisherige Neutralität der UN nach dem zugunsten der marokkanischen Position verschoben.
Historische Wurzeln: Der Grüne Marsch von 1975
Die Entscheidung des Sicherheitsrats fällt fast auf den Tag genau 50 Jahre nach dem Grünen Marsch, jenem friedlichen Massenaufbruch, der Marokkos nationale Einheit und territoriale Identität prägte. Am 6. November 1975 rief König Hassan II. 350.000 Freiwillige dazu auf, unbewaffnet in die damalige Spanisch-Sahara zu ziehen – ein symbolischer Akt zur Wiedervereinigung des Landes.
Der Marsch folgte auf das Gutachten des Internationalen Gerichtshofs, das die rechtlichen und politischen Bindungen zwischen den Stämmen der Sahara und dem marokkanischen Staat bestätigte. „Es war eine friedliche Revolution im Geist der Einheit“, erinnert sich der Journalist und Zeitzeuge Seddik Maâninou, der damals für das marokkanische Fernsehen berichtete. Männer und Frauen aus allen Regionen des Landes, begleitet von Ärzten, Geistlichen und Lehrern, zogen unter der Parole „Allah, Al-Watan, Al-Malik“ (Gott, Vaterland, König) gen Süden.
Ein historischer Beschluss des Sicherheitsrats

Fünf Jahrzehnte später betrachtet Marokko die neue UN-Resolution als Fortsetzung dieser historischen Mission mit diplomatischen Mitteln. König Mohammed VI. sprach von einem „neuen und siegreichen Kapitel“ im Prozess der nationalen Einheit. Zehntausende Menschen gingen in Städten wie Rabat, Casablanca und Laâyoune auf die Straße, um die Entscheidung zu feiern.
Laut dem Länderbericht der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) aus Rabat markiert die Resolution „einen historischen Schritt“, da sie den jahrzehntelangen Konflikt in eine neue Phase überführt. Die Annahme erfolgte mit elf Stimmen bei drei Enthaltungen, ohne ein Veto. Algerien, Schutzmacht der Polisario, boykottierte die Abstimmung – ein symbolisch aufgeladener Akt, der den diplomatischen Einflussverlust Algiers deutlich machte.
Marokko mit diplomatischem Erfolg
Die Resolution ruft die Konfliktparteien zu Verhandlungen auf Grundlage des 2007 vorgelegten marokkanischen Autonomieplans auf. Ein Referendum über die Unabhängigkeit der Westsahara, das seit 1991 als theoretische Option galt, wird im Text nicht mehr erwähnt. Damit ist der Weg frei für eine Neujustierung der internationalen Haltung zugunsten Rabats.
أجواء احتفالية بمدينة فاس مباشرة بعد اعتماد مجلس الأمن التابع للأمم المتحدة القرار رقم 2797 حول الصحراء المغربية pic.twitter.com/jbYxPMI13k
— Agence MAP (@MAP_Information) October 31, 2025
Die Entscheidung der Vereinten Nationen stärkt Rabats diplomatische Position erheblich. Nach den Analysen der KAS hat Marokko in den vergangenen Jahren eine konsequente internationale Kampagne betrieben, um Unterstützung für seine Autonomieinitiative zu gewinnen. Diese Strategie trägt nun Früchte: die USA, Frankreich, Großbritannien, Spanien und viele afrikanische Staaten haben sich offen auf die Seite Marokkos gestellt. Über 30 Länder unterhalten mittlerweile Konsulate in den von Marokko verwalteten Südgebieten, was als Anerkennung seiner Souveränität gilt.
Die Sicht der Konrad-Adenauer-Stiftung: Wandel in der internationalen und deutschen Haltung

Der Leiter des KAS-Regionalbüros Rabat, Steven Höfner, bezeichnet Resolution 2797 als diplomatischen Wendepunkt mit langfristigen Folgen für die Außenpolitik Marokkos und die Beziehungen Europas zum Königreich. Besonders die Haltung Deutschlands steht dabei im Fokus.
Nach einer Phase diplomatischer Spannungen 2021/2022 betont Berlin seither die „Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit“ des marokkanischen Autonomieplans, vermeidet aber eine formale Anerkennung. Während Frankreich und Großbritannien den Plan als Grundlage für eine Lösung benennen, hält Deutschland ihn bislang nur für „eine mögliche Option“. Mit der Resolution des Sicherheitsrats steigt jedoch der Druck, die Position an den neuen internationalen Konsens anzupassen.
Für die EU sieht die KAS-Analyse positive Impulse: Die wachsende Unterstützung für Marokkos Position könnte rechtliche und politische Blockaden in Handels-, Energie- und Migrationsfragen lösen. Eine stabile politische Einigung über den Autonomiestatus würde den Weg für eine vertiefte strategische Partnerschaft zwischen Marokko und der EU öffnen.
Neue Dynamik im regionalen Machtgefüge

Marokkos gestärkte Position verändert das regionale Gleichgewicht im Maghreb. Algerien, das weiterhin die Polisario unterstützt, steht diplomatisch zunehmend isoliert. Die USA, Frankreich und Großbritannien sehen in der Resolution eine Gelegenheit, den festgefahrenen Konflikt zu deeskalieren und zugleich stabile Rahmenbedingungen für Handel und Sicherheit in Nordafrika zu schaffen.
Sicherheitspolitisch bleibt die Lage jedoch fragil. Die Waffenruhe von 1991 ist seit 2020 gebrochen, entlang der Kontaktlinie kommt es immer wieder zu Zwischenfällen. Die Resolution verschafft Marokko Rückendeckung, birgt aber das Risiko, dass die Gegenseite – angesichts der internationalen Rückendeckung Rabats – militärische Eskalation als letztes Druckmittel betrachtet.
Symbolische Dimension: Der 31. Oktober als Tag der Einheit

Unmittelbar nach der Abstimmung erklärte König Mohammed VI. den 31. Oktober – den Tag der Resolution 2797 – zur „Eid Al Wahda („Fest der Einheit“). Die Entscheidung verknüpft die historische Bedeutung des Grünen Marsches von 1975 mit dem diplomatischen Erfolg von 2025 und schafft ein nationales Symbol der Kontinuität.
Während das Land den 50. Jahrestag des Grünen Marsches begeht, wird der 31. Oktober künftig als Erinnerungstag an die internationale Anerkennung der Wiederherstellung der nationalen Einheit verstanden – Ausdruck eines historischen Moments, an dem Marokko außenpolitisch gestärkt und innenpolitisch geeint auftritt.