Die tansanische Wahlkommission hat Präsidentin Samia Suluhu Hassan zur Siegerin der Präsidentschaftswahl erklärt. Nach offiziellen Angaben gewann sie mit knapp 98 Prozent der Stimmen. Gleichzeitig erlebt das Land die schwerste politische Krise seit Jahrzehnten. Massive Proteste, Gewalt und Kommunikationssperren erschüttern die ostafrikanische Republik.
Umstrittene Wahl und Vorwürfe der Manipulation
Die Wahlen fanden am 29. Oktober 2025 statt. Die Wahlbeteiligung lag nach Angaben der Kommission bei rund 87 Prozent der 37,6 Millionen registrierten Wählerinnen und Wähler. Zwei führende Oppositionskandidaten waren im Vorfeld ausgeschlossen worden, was breite Empörung auslöste. Mitglieder des Europäischen Parlaments erklärten, die Abstimmung sei „weder frei noch fair“ verlaufen. Internationale Beobachter berichteten über Behinderungen, willkürliche Verhaftungen und das systematische Ausschließen von Wahlbeobachtern.

Unmittelbar nach Bekanntgabe des Ergebnisses kam es in mehreren Städten zu schweren Ausschreitungen. In der Hauptstadt Daressalam sowie in Arusha und Mwanza errichteten Demonstrierende Barrikaden, während Sicherheitskräfte Tränengas und scharfe Munition einsetzten. Nach Angaben der Vereinten Nationen wurden mindestens zehn Menschen getötet. Die Oppositionspartei CHADEMA, deren Kandidat bereits im April unter Hochverratsvorwürfen inhaftiert wurde, spricht von über 700 Toten.
Präsidentin Suluhu Hassan spurlos verschwunden
Seit Verkündung des Wahlergebnisses ist Präsidentin Hassan nicht mehr öffentlich aufgetreten. Ihr letzter bekannter Auftritt war am Wahltag an einem Wahllokal in Daressalam. Regierungsvertreter erklärten in einer kurzen Pressekonferenz, die Präsidentin sei „sicher und handlungsfähig“. Beweise für ihren Aufenthaltsort wurden jedoch nicht vorgelegt. Die Unklarheit über ihre Lage hat Spekulationen über einen möglichen Machtkampf im Staatsapparat entfacht.
Ausnahmezustand, Internetblockade und internationale Reaktionen
Die Regierung verhängte einen landesweiten Ausnahmezustand und kappte fast vollständig den Zugang zum Internet. Telefon- und Datendienste sind stark eingeschränkt. Der Schritt sollte offenbar die Verbreitung von Informationen eindämmen, hat jedoch die Verunsicherung in der Bevölkerung weiter verstärkt.
UN-Generalsekretär António Guterres zeigte sich tief besorgt über die Lage. In einer Erklärung verurteilte er den Verlust von Menschenleben und forderte eine unabhängige Untersuchung des Gewalteinsatzes. Er rief alle Akteure zu Zurückhaltung auf und betonte die Bedeutung der Meinungsfreiheit und des Rechts auf friedliche Versammlung.

General Mkunda und der Bruch zwischen Militär und Polizei

Einen Wendepunkt in der Krise markierte eine Erklärung von General Jacob Mkunda, dem Oberbefehlshaber der tansanischen Streitkräfte. In einer kurzen Ansprache, die über den staatlichen Rundfunk ausgestrahlt wurde, warnte Mkunda die Polizei davor, auf Demonstrierende zu schießen, und betonte, dass die Armee „nicht tatenlos zusehen werde, wenn Bürger massakriert werden“. Kurz darauf ging der staatliche Sender vom Netz.
Mkundas Haltung, die Berichten zufolge auf eine Weigerung hinauslief, das Militär zur Niederschlagung der Proteste einzusetzen, wurde in den sozialen Medien als „Akt des Mutes“ gefeiert. Bürgerinnen und Bürger bezeichnen ihn als „Soldaten des Volkes“. Beobachter sprechen von einem Bruch zwischen Armee und Polizei, der das Machtgefüge in Tansania grundlegend verändert.
Gesellschaftliche Reaktionen und drohender Staatszerfall
Trotz Ausgangssperren und Kommunikationssperren verbreiten sich Videos und Augenzeugenberichte über alternative Kanäle. Sie zeigen Straßenschlachten, brennende Reifen und zerstörte Geschäfte. Krankenhäuser berichten von überfüllten Notaufnahmen. Die wirtschaftlichen Folgen der Unruhen sind noch nicht absehbar.
Samia Suluhu has gone silent, her whereabouts unclear. As public fury grows and her portraits burn, chaos grips “peaceful” Tanzania for the 4th day — with no end in sight pic.twitter.com/5MfPk2ZIGD
— Stephen Mutoro (@smutoro) November 1, 2025
Die Spaltung innerhalb der Sicherheitskräfte und das Verschwinden der Präsidentin haben einen gefährlichen Machtvakuum geschaffen. Politische Analysten warnen, dass Tansania, lange Zeit als stabilster Staat Ostafrikas angesehen, an den Rand eines institutionellen Zusammenbruchs geraten könnte.
Rolle der internationalen Gemeinschaft
Mehrere internationale Organisationen, darunter die Afrikanische Union und die Ostafrikanische Gemeinschaft, prüfen diplomatische Initiativen zur Deeskalation. Die Vereinten Nationen signalisierten ihre Bereitschaft, einen Dialogprozess zu begleiten und die Menschenrechtslage zu überwachen. Die Europäische Union fordert die Wiederherstellung des Internets und den Zugang unabhängiger Medien.
As #Tanzanians went to the polls, the international community watched with deep concern. What should have been a celebration of democracy, instead unfolded in an atmosphere of repression, intimidation, and fear. These elections cannot be regarded as free and fair.
— davidmcallister (@davidmcallister) October 30, 2025
Der Ausgang der Krise wird entscheidend dafür sein, ob Tansania seine institutionelle Stabilität bewahren kann oder in eine neue Ära politischer Unsicherheit eintritt. Mit einem geteilten Sicherheitsapparat, einer verschwundenen Präsidentin und einer wütenden Bevölkerung steht das Land vor seiner größten Bewährungsprobe seit der Unabhängigkeit.