UN80: António Guterres drängt auf Umbau – Finanzierungslücken gefährden Friedenseinsätze

Die Vereinten Nationen stehen vor einer Doppelherausforderung: Einerseits bereitet Generalsekretär António Guterres mit der UN80-Initiative eine umfassende Reform des Systems vor, die Fragmentierung und Doppelstrukturen beseitigen soll. Andererseits führen massive Finanzierungslücken dazu, dass Friedenseinsätze weltweit gekürzt und Personal abgezogen werden muss – mit direkten Folgen für Konfliktregionen in Afrika und im Nahen Osten.

„Ein UN-System, das als Einheit arbeitet“ – Guterres fordert maximale Wirkung der UN80

Vor der Generalversammlung skizzierte Guterres seine Vision eines „kohärent arbeitenden Systems ohne institutionelle Reibungsverluste“. Ziel sei es, Ressourcen stärker zu bündeln, Verwaltungsstrukturen zusammenzuführen und operative Doppelungen zu beseitigen. Dazu kündigte er die Einrichtung eines speziellen Teams zur Umsetzung der UN80-Agenda an, das Reformvorschläge in die zwischenstaatlichen Entscheidungsgremien einbringen oder – falls rechtlich möglich – direkt umsetzen soll.

Kern der Strategie ist eine Reorientierung der Ressourcen auf sichtbare Wirkung, weg von verwaltungsintensiven Strukturen. Guterres betonte: „Die Mittel, die uns anvertraut werden, müssen meßbare Wirkung für die Menschen entfalten, denen wir dienen.“

UN80-Initiative: Drei Reformstränge

Die UN-Reform ist in drei Arbeitsströme gegliedert:

  1. Strukturelle Effizienz:
    • Zusammenlegung administrativer Plattformen
    • Verlagerung von Verwaltungseinheiten in kostengünstigere Standorte
    • Reduzierung von Immobilienkosten ohne Programme zu beeinträchtigen
  2. Mandatsprüfung:
    • Analyse des Lebenszyklus von Missionen und Programmen
    • Prüfung, welche Mandate mehrfach fortgeschrieben, aber kaum evaluiert wurden
    • Moderiert von Jamaika und Neuseeland im Rahmen einer informellen Arbeitsgruppe
  3. Institutionelle Neuausrichtung und Fusionen:
    • Überlegung, UNDP und UNOPS zu einer Entwicklungs- und Projektagentur zu verschmelzen, um Durchgriff und Skalierbarkeit zu verbessern
    • Diskussion über die mögliche Zusammenführung von UN Women und UNFPA, um genderpolitische Ressourcen zu bündeln
    • Neuordnung von Friedens- und Sicherheitseinheiten am Hauptsitz in New York sowie Anpassungen in bestehenden Sondermissionen (u. a. Jemen, Zypern, Zentralafrika)

Guterres betont, dass diese Schritte nicht auf Kostensenkung reduziert werden dürfen, sondern der Zielsetzung dienen, Glaubwürdigkeit und Relevanz der UN in einer geopolitisch fragmentierten Welt zu sichern.

Finanzierungskrise: Friedensmissionen vor Rückbau

Parallel zur Reformagenda verschärft sich die Finanzkrise der Friedenssicherung. Laut Angaben der UN verfügen die Missionen im aktuellen Etatjahr nur über 3,6 Milliarden US-Dollar von genehmigten 5,6 Milliarden US-Dollar. Ein Rückstand von über 2 Milliarden US-Dollar zwingt die Organisation, Missionsbudgets um mindestens 15 Prozent zu kürzen und bis zu ein Viertel des Einsatzpersonals abzuziehen.

Betroffen sind insbesondere Missionen in:

  • Demokratische Republik Kongo (MONUSCO)
  • Südsudan (UNMISS)
  • Zentralafrikanische Republik (MINUSCA)
  • Westliche Sahara (MINURSO)
  • Libanon (UNIFIL)
  • Golan-Höhen

In Regionen wie Kongo und Zentralafrika bedeutet der Abzug von Einheiten weniger Patrouillen, geringere Schutzpräsenz und erhöhte Gefährdungslage für die Zivilbevölkerung. Gleichzeitig müssen geplante Projekte – etwa sichere Rückzugskorridore, lokale Mediationsteams oder zivile Beobachterstationen – reduziert oder ganz gestrichen werden.

Strukturelle Unterfinanzierung durch Beitragsausfälle

Die Ursachen liegen vor allem in ausstehenden Pflichtbeiträgen großer Mitgliedsstaaten, insbesondere der Vereinigten Staaten und weiterer Geberländer. Da Friedensmissionen rechtlich separat vom regulären UN-Haushalt finanziert werden, führt jeder Zahlungsverzug unmittelbar zu Liquiditätsengpässen. Hinzu kommt, dass Beitragsverzögerungen die Erstattung an Truppenstellerländer verzögern, was gerade für afrikanische Staaten mit hohen Einsatzkontingenten zur finanziellen Belastung wird.

UN-Friedenseinsätze sind auf zeitgerechte Umlagefinanzierung angewiesen. Bleiben Beiträge aus, müssen Missionen sofort Personal und Material reduzieren, was wiederum die strategische Reichweite des UN-Sicherheitsrates schwächt. Reformdiskussion und Finanzengpass überlagern sich somit in einem kritischen Moment.

UN vor einer doppelten Bewährungsprobe

Die UN befindet sich zur Mitte der 2020er Jahre in einer doppelten Zwangslage:

  • Innenpolitisch-institutionell: Druck zur Modernisierung, Effizienzsteigerung und Bündelung von Mandaten
  • Außenpolitisch-operativ: Verlust an Kapazität in Friedensmissionen, Rückzug aus Konfliktregionen, Risiko der Entstehung sicherheitspolitischer Vakuumzonen

Besonders in Afrika – wo ein Großteil der aktiven Friedenseinsätze stationiert ist – drohen lokale Gewaltakteure, den Rückzug internationaler Beobachtung zu nutzen, um Territorien zu kontrollieren oder Wirtschaftsräume zu sichern. Gleichzeitig wird der legitimatorische Anspruch des Sicherheitsrats geschwächt, wenn genehmigte Einsätze mangels Finanzierung nicht umgesetzt werden können.

Baerbock appelliert an Mitgliedstaaten

Die Präsidentin der Generalversammlung, Annalena Baerbock, rief die Mitgliedsstaaten dazu auf, die Reform nicht als technisches Sparprogramm zu betrachten. Die UN80-Initiative sei – so Baerbock – „eine Frage politischer Handlungsfähigkeit und institutioneller Glaubwürdigkeit“. Reform dürfe nicht bedeuten, den Kernauftrag der Vereinten Nationen – Frieden, Schutz, Verteidigung des Völkerrechts – dem Budgetdruck zu unterwerfen.

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