Russland signalisiert Unterstützung für marokkanischen Autonomieplan

Wenige Tage vor der anstehenden Sitzung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen zur Westsahara hat Russlands Außenminister Sergei Lawrow eine bemerkenswerte Akzentverschiebung in der russischen Haltung angedeutet. Bei einem Pressegespräch mit arabischen Medien in Moskau erklärte Lawrow, Russland sei grundsätzlich bereit, den vom Königreich Marokko vorgelegten Autonomieplan zu unterstützen, sofern dieser unter Aufsicht der Vereinten Nationen und mit Zustimmung aller beteiligten Akteure umgesetzt werde.

Moskau öffnet diplomatische Spielräume vor Sitzung des Sicherheitsrats

Auf die Frage der algerischen Journalistin betonte Lawrow, das Prinzip der Selbstbestimmung werde nicht ausschließlich durch ein Referendum definiert, sondern könne auch in Form einer verhandelten Autonomielösung innerhalb des bestehenden Souveränitätsrahmens umgesetzt werden. Damit signalisiert Moskau die Bereitschaft, den politischen Prozess nicht mehr allein an der Referendumslogik früherer UN-Initiativen festzumachen.

Autonomieplan als „innere Selbstbestimmung“ – neue semantische Linie

Lawrow wies darauf hin, dass die Westsahara-Frage seit fünf Jahrzehnten ungelöst sei und dass die internationale Gemeinschaft unter dem früheren UN-Gesandten James Baker lange Zeit eine Volksabstimmung als Kerninstrument betrachtete. Die Komplexität der Lage habe jedoch zu einer Neubewertung geführt. Marokko habe den Grundsatz der Selbstbestimmung nicht verworfen, sondern eine Form der „internen Autonomie“ innerhalb der marokkanischen Souveränität vorgeschlagen, so der russische Außenminister.

Die Aussagen markieren eine semantische Öffnung: Während Russland bisher offiziell Neutralität betonte, rückt es die marokkanische Autonomieinitiative nun in die Nähe einer UN-kompatiblen Lösung, vorausgesetzt der Sicherheitsrat und alle Akteure bestätigen den Rahmen.

UN-Rahmen bleibt Referenzpunkt – strategische Distanz zu bilateralen Druckmechanismen

Moskau unterstreicht, dass Resolutionen des Sicherheitsrats den gültigen Verhandlungsrahmen bilden. Sollte eine neue Resolution alternative Lösungspfade eröffnen, könne Russland diese prüfen, sofern keine der direkt betroffenen Parteien widerspreche. Damit positioniert sich Russland als Akteur, der seine Rolle im UN-Format reflektiert und keine bilateralen Mechanismen außerhalb der multilateralen Struktur favorisiert.

Diplomatische Annäherung zwischen Rabat und Moskau

Die Aussagen folgen einem Gespräch zwischen Lawrow und dem marokkanischen Außenminister Nasser Bourita, bei dem beide Seiten ihren Willen zur Vertiefung politischer Konsultationen bestätigten. Ein weiterer Termin hochrangiger Delegationen in Moskau ist für Ende der Woche geplant. Grundlage sind die Partnerschaftserklärungen von 2002 und 2016, die die Beziehungen zwischen beiden Ländern auf strategische Ebenen ausweiteten.

Parallel dazu verzichtete Marokko jüngst auf seine Stimme bei einer UN-Abstimmung zur Verlängerung des Mandats des Sonderberichterstatters für Menschenrechte in Russland. Diese Enthaltung wird in Moskau als politisches Signal gewertet, insbesondere vor dem Hintergrund der zunehmend konflikthaften Beziehungen zwischen Russland und westlichen Staaten seit Beginn des Ukraine-Krieges.

Geopolitische Verschiebungen zwischen Algier, Rabat und Moskau

Traditionell pflegt Russland enge sicherheitspolitische und militärtechnische Beziehungen zu Algerien. So gehört Algerien zu den größten Abnehmern von russischen Rüstungsgütern. Dennoch hat Moskau in der Westsahara-Frage nie ein Veto im Sicherheitsrat eingesetzt und sich meist der Stimme enthalten, um Resolutionen zur Mandatsverlängerung der MINURSO nicht zu blockieren. Diese Neutralität, die bislang vor allem blockierende Positionen verhinderte, könnte sich nun in eine kooperative Unterstützung des Autonomieplans verschieben – zumindest rhetorisch konditioniert.

Beobachter verweisen auf diplomatische Bewegungsräume, die sich aus Marokkos Positionierung in internationalen Konflikten ergeben. Rabat verfolgt eine Politik der Nicht-Blockbindung, verzichtet auf direkte Konfrontationen mit Moskau und bekennt sich zum Prinzip der territorialen Integrität im Falle Chinas, was in Russland aufmerksam registriert wird.

UN-Sicherheitsrat vor entscheidender Abstimmungsphase

Die kommende Resolution im Sicherheitsrat zur Zukunft von MINURSO und zum politischen Prozess könnte zur Referenzentscheidung werden. Nach Einschätzung diplomatischer Beobachter wird sie voraussichtlich den marokkanischen Autonomieplan als einzige realistische Basis für eine verhandelte Lösung bezeichnen. Die Haltung Russlands – ebenso wie jene Chinas – gilt dabei als entscheidend für die diplomatische Rahmensetzung. Beide Länder sind bislang die letzten ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats, die sich nicht ausdrücklich hinter den Autonomieplan gestellt haben.

Das Zeitfenster vor der Sitzung wird in Rabat als Gelegenheit interpretiert, die internationale Anerkennung des Autonomiekonzepts weiter abzusichern und mögliche Blockaden im Sicherheitsrat zu vermeiden. Moskaus jüngste Äußerungen deuten darauf hin, dass Russland sein Rollenverständnis als „garantierende Macht ohne Konfrontationslogik“ bekräftigen und seinen diplomatischen Handlungsspielraum offenhalten will.

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