Luis Bobga: “Paul Biya führt Kamerun in eine Vertrauenskrise”

Mit Luis Bobga wurde im Oktober ein neuer Bundessprecher der Grünen Jugend gewählt. Der 23-Jährige gehört zu einer Generation junger Politikerinnen und Politiker, die Gerechtigkeitsfragen, Klimapolitik und Antikolonialismus zusammen denken – und so die politische Richtung der Partei in den kommenden Jahren prägen werden.

In seinem ersten ausführlichen Interview mit FOKUS AFRIKA spricht Bobga über seine Vorstellungen einer progressiven Afrikapolitik, über Deutschlands Verantwortung für koloniale Kontinuitäten – und zur Lage in seinem Herkunftsland Kamerun, wo derzeit die politische Krise rund um die Wahlen erneut eskaliert.

Afrika spürt die Folgen der Klimakrise

FOKUS AFRIKA: Luis Bobga, du bist kürzlich zum Bundessprecher der Grünen Jugend gewählt worden. Blickt man auf die Arbeit der Jugendorganisation in den vergangenen Jahren, standen außenpolitische Themen meist im Zusammenhang mit Klimafragen und deren Auswirkungen auf den Globalen Süden. Wird es unter deiner Leitung auch neue Impulse in der Afrikapolitik geben?

Luis Bobga: Als linke Jugendorganisation liegt ein Großteil unserer Arbeit auf Gerechtigkeitsfragen und der politischen Bildungsarbeit unserer Mitglieder. Gerechtigkeit muss allerdings immer global gedacht werden und so lag auch im vergangenen Jahr ein Augenmerk darauf, koloniale Kontinuitäten aufzuzeigen.

In vielen Debatten rund um die Klimakrise kommt mir beispielsweise häufig zu kurz, dass es insbesondere Menschen auf dem afrikanischen Kontinent sind, die die Folgen am drastischsten zu spüren bekommen, obwohl es die fossile Energie- und Industriepolitik Europas, Chinas und der USA ist, die maßgeblich zur Eskalation der Klimakrise beiträgt. 

Auch die Wirtschaftsbeziehungen, die seitens der Europäischen Union mit afrikanischen Staaten gepflegt werden, verschärfen bestehende Ungleichheiten häufig weiter. Diese Perspektiven immer mitzudenken und gleichzeitig differenziert auf den afrikanischen Kontinent in all seiner Vielfalt zu schauen, das ist der Anspruch, den ich in meiner Arbeit habe.

Bobga: “Die Ausbeutung von Ressourcen muss beendet werden”

FOKUS AFRIKA: Konkret gefragt: Welche weiteren Herausforderungen auf dem afrikanischen Kontinent sollten die Grünen stärker in den Fokus nehmen? Und wie sollten diese angegangen werden?

Luis Bobga: Wie bereits angedeutet ist Deutschland maßgeblich am menschengemachten Klimawandel beteiligt, ein Ausstieg aus fossilen Energien und eine klimaneutrale Transformation der Wirtschaft sind wichtige Beiträge, um die auf dem afrikanischen Kontinent deutlich stärker auftretenden Konsequenzen einzudämmen.

Daneben muss es auch um das europäische Verhältnis zum afrikanischen Kontinent gehen – Europa trägt große Verantwortung für viele heutige politische Konflikte in afrikanischen Staaten und auch nach der Beendigung formaler Kolonialverhältnisse hatten europäische Staaten kein Interesse daran wirtschaftliche und politische Beziehungen auf Augenhöhe zu führen. Bis heute geht es oftmals darum, Ressourcen oder Arbeitskräfte auszubeuten. Das muss thematisiert und beendet werden.

Ein weiterer Punkt: Ich glaube die deutsche Politik insgesamt, aber auch die Grünen müssen ihr Verständnis von internationaler Solidarität hinterfragen. Wir konnten am Beispiel der Corona-Pandemie sehen, dass gerade in Krisenzeiten, viele Stimmen plötzlich für eine Fokussierung auf ihr eigenes Land, im Zweifel noch die europäische Staatengemeinschaft eintreten. So war es damals in erster Linie wichtig, Impfstoffe in Europa in der Breite zugänglich zu machen, was zur Folge hatte, dass in afrikanischen Staaten deutlich mehr Menschen der Pandemie zum Opfer gefallen sind.

Als ehemaliger Kolonialstaat macht man es sich hier zu einfach, wenn man in Krisenzeiten von einem internationalen Solidaritätsverständnis abweicht. 

Luis Bobga über seine Reise in den Kamerun

FOKUS AFRIKA: Du hast kamerunische Wurzeln. Wie blickst du auf die angespannte politische Lage in Kamerun im Zusammenhang mit den derzeitigen Wahlen?

Luis Bobga: Vor einem Jahr war ich selbst zum ersten Mal in Kamerun und habe erlebt, wie sehr die politische Lage die Menschen belastet. Viele Menschen haben ein Bedürfnis nach Veränderung, nach Fortschritt und einer Regierung, die ihre Politik an den Bedürfnissen der Menschen ausrichtet. Paul Biya regiert seit Jahrzehnten, und seine Politik hat das Land in eine tiefe Vertrauenskrise geführt. Demokratie und Rechtsstaat haben massiv gelitten und Menschen, die Kritik üben, riskieren viel. In den vergangenen Tagen gab es Berichte über verschleppte Oppositionelle, darunter Anwält*innen und Aktivist*innen, die sich einfach für faire Wahlen eingesetzt haben. Viele mussten fliehen.

Ich wünsche mir, dass es in absehbarer Zeit ein Fenster gibt, das es den Menschen ermöglicht, eine Regierung zu wählen, die ihre Interessen ehrlich vertritt. 

Grüne Jugend Chef: Diaspora wird nur zum “Schein” beteiligt

FOKUS AFRIKA: Sollten Diaspora-Gemeinschaften mit ihrem kultursensiblen Verständnis von Politik stärker als Brückenbauer einbezogen werden?

Luis Bobga: Diaspora-Gemeinschaften können eine wichtige Rolle als Brücke einnehmen, jedoch darf man nicht ausblenden, dass es natürlich nicht DIE Diaspora-Gemeinschaft gibt, sondern Menschen, die einen biografischen Bezug zum afrikanischen Kontinent haben, auch hier in Deutschland fragmentiert sind und unterschiedliche Perspektiven und Interessen haben. 

Was man häufig erlebt lässt sich meines Erachtens nach zudem als “Schein-Beteiligung” beschreiben: Es wird davon gesprochen wie relevant kulturelle Vielfalt ist, wie wertvoll verschiedene Perspektiven sind, doch wenn es dann um die konkrete und verbindliche Einbeziehung in Entscheidungen geht, werden eben jene Perspektiven dann doch nicht mehr so ernstgenommen. Das schadet letztlich nur dem Vertrauen und lässt Menschen mit dem Eindruck zurück, dass sie ausgenutzt werden.

Scheitert Dekolonisierung an den eigenen Ansprüchen?

FOKUS AFRIKA: Im linken politischen Spektrum wird der Ruf nach einer Dekolonisierung bestehender politischer Strukturen lauter. Zwar gibt es symbolische Fortschritte – wie etwa die Umbenennung der Berliner Mohrenstraße in Anton-Wilhelm-Amo-Straße – doch bei den großen Fragen bleibt der Wandel oft aus: Die Verhandlungen über Reparationen mit Namibia wurden von den Betroffenen abgebrochen, und die Rückgabe der Benin-Bronzen nach Nigeria stockt. Scheitert die Dekolonisierung an den eigenen Ansprüchen?

Luis Bobga: Dekolonisierung bedeutet für mich im Kern, Machtverhältnisse neu zu verhandeln: Wer kontrolliert Ressourcen? Wer profitiert ökonomisch von Strukturen, die bis heute koloniale Muster fortschreiben? Solange diese Fragen nicht ehrlich gestellt und beantwortet werden, bleibt Dekolonisierung ein symbolisches Projekt, aber kein politisches. Konkret bedeutet das, dass Handelsbeziehungen gerecht gestaltet werden und EU-Produkte nicht afrikanische Märkte überschwemmen und damit lokale Unternehmen schädigen. Auch im Umgang mit Migrationsbewegungen aus afrikanischen Staaten darf nicht aus dem Blick geraten, welche Verantwortung insbesondere Europa für Fluchtursachen spielt.

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