Nach Recherchen der italienischen Zeitung Il Foglio hat die spanische Guardia Civil im August 2025 im Hafen der nordafrikanischen Enklave Ceuta (Sebta) zehn militärische Boote beschlagnahmt, die aus den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) stammten und für die Streitkräfte des libyschen Generals Khalifa Haftar bestimmt waren. Der Einsatz erfolgte im Rahmen der Durchsetzung des seit 2011 geltenden UN-Waffenembargos gegen Libyen.
Laut dem Bericht handelte es sich bei den gestoppten Schiffen um moderne Patrouillen- und Schnellboote, die in Werften in Dubai gebaut wurden. Sie befanden sich auf dem Weg nach Bengasi, dem Machtzentrum der sogenannten Libyschen Nationalarmee (LNA) im Osten des Landes. Offiziell sollten sie dort zur „Sicherung der Migrationsrouten im Mittelmeer“ eingesetzt werden – eine Begründung, die Beobachter seit Jahren als Deckmantel für verdeckte militärische Aufrüstung werten.
Ein seltener Eingriff in eine routinemäßige Waffenroute
Die Beschlagnahmung gilt als ungewöhnlicher Vorgang, da Lieferungen aus den Golfstaaten an die ostlibyschen Kräfte Haftars trotz des Embargos bislang fast immer ungehindert ihr Ziel erreichten. Laut europäischen Sicherheitskreisen werden solche Transfers häufig toleriert oder stillschweigend geduldet, da sie – indirekt – europäischen Interessen dienen: Haftar kontrolliert große Teile der libyschen Küste und gilt als Schlüsselfigur bei der Eindämmung von Migration nach Südeuropa.

Die beschlagnahmten Boote trugen das Emblem „TBZ“ – die Initialen der Tariq-Ben-Ziyad-Brigade, die von Saddam Haftar, dem Sohn des libyschen Feldmarschalls, geführt wird. Diese Einheit steht seit Jahren unter Beobachtung der Vereinten Nationen und wird beschuldigt, Kriegsverbrechen und schwere Menschenrechtsverletzungen gegen Zivilisten und Migranten begangen zu haben. Trotz dieser Vorwürfe gilt sie in Sicherheitskreisen als zentrale Partnerin europäischer Migrationspolitik, da sie an der Überwachung der Küstenabschnitte beteiligt ist, die von Flüchtlingsrouten aus Westafrika und der Sahelzone genutzt werden.
Verwicklungen europäischer Interessen in Libyen
Der Fall wirft ein Schlaglicht auf die Widersprüche europäischer Migrationspolitik. Während die Europäische Union seit Jahren auf die „Externalisierung der Grenzen“ setzt und Schiffe an die libysche Küstenwache in Tripolis liefert, um Migrantenrouten abzufangen, zeigt die Affäre um die Boote für Bengasi, dass auch mit Haftars Kräften im Osten des Landes inoffizielle Kooperationen bestehen.
Diese zweigleisige Strategie – Zusammenarbeit mit rivalisierenden libyschen Machtzentren – dient der Kontrolle von Abfahrten nach Italien, Malta und Griechenland, birgt jedoch erhebliche politische und moralische Risiken. Menschenrechtsorganisationen kritisieren seit Langem, dass die EU damit Akteure stärkt, die für Gewalt, Folter und illegale Inhaftierungen verantwortlich gemacht werden.
Inchiesta: gli Emirati danno agli Haftar le motovedette usate per respingere i migranti. Il sequestro in Spagna di dieci imbarcazioni dirette a Bengasi svela una rete dei traffici fra Libia, Giordania, Emirati e Hong Kong. Di @Gambluca https://t.co/HOUB9K4Y0j
— Il Foglio (@ilfoglio_it) October 17, 2025
Die Vereinten Nationen dokumentierten bereits mehrfach Verstöße gegen das Waffenembargo durch die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten und andere Staaten, die Haftar unterstützen. Dennoch blieb die Umsetzung der Sanktionen bislang weitgehend wirkungslos. Spaniens Eingreifen markiert daher einen seltenen Präzedenzfall, bei dem ein EU-Staat aktiv gegen eine Lieferung aus einem verbündeten Land vorging.
Keine offizielle Bestätigung aus Madrid
Die spanische Regierung hat die Enthüllungen bislang nicht bestätigt. Das Innenministerium verwies lediglich darauf, dass „sämtliche Maßnahmen im Einklang mit internationalen Verpflichtungen“ stünden. Auch die Guardia Civil äußerte sich nicht zu den Vorgängen in Ceuta.

In diplomatischen Kreisen wird davon ausgegangen, dass Madrid mit der Aktion ein Signal an Brüssel und die Vereinten Nationen senden wollte: Die EU müsse stärker darauf achten, dass ihre Mitgliedsstaaten und Partner nicht selbst zur Unterwanderung internationaler Embargos beitragen.
Währenddessen schweigen sowohl die Emirate als auch Vertreter der ostlibyschen Behörden. In Bengasi dementierten Haftars Sprecher bislang jede Verbindung zu den beschlagnahmten Booten.
Ein Embargo mit politischer Sprengkraft
Das Waffenembargo gegen Libyen besteht seit Resolution 1970 des UN-Sicherheitsrats aus dem Jahr 2011 und wurde seither regelmäßig verlängert. Es soll verhindern, dass die zahlreichen bewaffneten Gruppen des Landes weiter aufgerüstet werden. Dennoch sind illegale Waffenlieferungen über See und Luft weiterhin an der Tagesordnung – ein Spiegelbild der anhaltenden Fragmentierung Libyens und der geopolitischen Rivalitäten zwischen Ost und West.
Der spanische Vorfall könnte neue Diskussionen über die Effektivität internationaler Sanktionen und die Komplizenschaft europäischer Staaten in der libyschen Sicherheitsarchitektur auslösen – insbesondere im Hinblick auf die Kontrolle der Migration und die Balance zwischen Sicherheitspolitik und Menschenrechten.