Im Innenausschuss des Deutschen Bundestages ist es am Montag zu einer kontroversen Anhörung über einen Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU/CSU und SPD gekommen. Der Entwurf (Drucksache 21/780) sieht vor, die Bestimmung sicherer Herkunftsstaaten künftig per Rechtsverordnung zu regeln und die Pflicht zur anwaltlichen Vertretung in Abschiebungshaft- und Ausreiseverfahren abzuschaffen.
Die vorgeschlagene Neuregelung würde eine Unterscheidung einführen: Änderungen der Liste sicherer Herkunftsstaaten sollen nur noch für Asylanträge nach der EU-Richtlinie 2013/32/EU gelten, nicht jedoch für Asylverfahren nach Artikel 16a des Grundgesetzes.
Uneinigkeit über rechtliche und praktische Folgen der Einstufung „sicherer Herkunftsstaaten“
Dr. Falk Fritzsch vom Justiz- und Migrationsministerium Baden-Württemberg begrüßte den Entwurf. Er sprach von einem „Vollzugsdefizit bei der Durchsetzung von Ausreisepflichten“ und kritisierte die 2024 eingeführte Pflichtanwaltsbestellung (§ 62d Aufenthaltsgesetz) als „Frühwarnsystem, das Rückführungen verzögere“. Die Aufhebung der Regelung sei ein notwendiger Schritt, um Verfahren effizienter zu gestalten.

Dem widersprachen mehrere Sachverständige aus Zivilgesellschaft und Rechtspraxis. Wiebke Judith von der Organisation Pro Asyl wies darauf hin, dass die Zahl der Asylanträge seit 2024 deutlich gesunken und die Zahl der Abschiebungen gestiegen sei. Der Gesetzentwurf basiere daher auf einer falschen Annahme. Zudem sei die geplante Umgehung der Zustimmungspflicht des Bundesrates bei der Einstufung sicherer Herkunftsstaaten verfassungswidrig. Die Abschaffung der Anwaltspflicht würde laut Judith die Rechtslage von Betroffenen erheblich verschlechtern.
Auch Stefan Keßler vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst bewertete den Entwurf als verfassungsrechtlich bedenklich. Eine Bestimmung sicherer Herkunftsstaaten ohne Zustimmung des Bundesrates würde die Rechte von Schutzsuchenden unangemessen einschränken. Die geplante Streichung der Pflichtanwaltsbestellung würde die „Notlage der Betroffenen verschärfen“.
Befürwortung durch Justiz und Verwaltung

Anders bewertete Dr. Robert Seegmüller, Richter am Bundesverwaltungsgericht, das Vorhaben. Er bezeichnete den Entwurf als geeignet, um Verfahren zu beschleunigen und Behörden zu entlasten. Etwa die Hälfte der Arbeitskapazität der Verwaltungsgerichte sei derzeit durch Asylverfahren gebunden. Eine klare Einstufung bestimmter Staaten als sicher könne die Bearbeitungszeiten deutlich verkürzen.
Auch Veronika Vaith, Leiterin der Zentralen Ausländerbehörde Niederbayern, begrüßte den Vorschlag ausdrücklich. In der Vollzugspraxis zeige sich, dass viele Asylanträge aus Staaten mit niedriger Schutzquote kämen. Eine vereinfachte Möglichkeit zur Einstufung sicherer Herkunftsländer würde helfen, sich stärker auf tatsächlich Schutzbedürftige zu konzentrieren.
Offene Fragen zur Verfassungs- und EU-Rechtslage
Dr. Holger Kolb vom Sachverständigenrat für Integration und Migration erinnerte an das Scheitern früherer Gesetzesinitiativen zur Erweiterung der Liste sicherer Herkunftsstaaten im Bundesrat. Der Versuch, dies künftig per Rechtsverordnung zu umgehen, sei „verfassungsrechtlichen Risiken ausgesetzt“.
Dr. Philipp Wittmann, Richter am Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, hielt die Neuregelung grundsätzlich für mit EU-Recht vereinbar, verwies aber auf notwendige Präzisierungen. Die parallele Anwendung unterschiedlicher Rechtsgrundlagen – Grundgesetz und EU-Richtlinie – sei möglich, erfordere jedoch eine europarechtskonforme Auslegung.
Die geplanten Änderungen sind Teil einer umfassenderen Reformagenda zur Migrationspolitik der neuen Bundesregierung. Ziel ist eine Vereinheitlichung und Beschleunigung von Asylverfahren. Die kritischen Stimmen im Ausschuss verdeutlichen jedoch, dass die Reform rechtlich und politisch umstritten bleibt – insbesondere mit Blick auf den föderalen Entscheidungsprozess und den Schutz der Grundrechte.