In Niger State im Norden Nigerias ist die Zahl der entführten Kinder nach einem Angriff auf die St. Mary’s Catholic Primary and Secondary Schools im Ort Papiri deutlich höher als zunächst berichtet. Nach einem Abgleich der Schulregister, einer Verifizierung der Angaben vor Ort und einer abschließenden Zählung beziffert die Christian Association of Nigeria (CAN) die Zahl der verschleppten Kinder inzwischen auf 303. Zusätzlich wurden 12 Lehrkräfte entführt. Die Betroffenen sind nach Angaben von Kirchenvertretern zwischen 10 und 18 Jahre alt.
Angriff auf katholische Schule in Papiri
Bewaffnete Angreifer drangen in den frühen Morgenstunden zwischen etwa 2 Uhr und 3 Uhr in den Schulkomplex ein. Zeugenaussagen zufolge operierten sie mehrere Stunden in der Gemeinde, schossen den Torwächter an und verschafften sich Zugang zu den Schlaf- und Unterrichtsräumen. Wie die Premium Times Nigeria berichtet, blieb die Schule nach dem Angriff verlassen, abgesehen von Sicherheitskräften und einigen wenigen Gemeindemitgliedern, die die Zahl der Vermissten mit aufnahmen.
Die CAN-Führung in Niger State stellte klar, dass frühere Angaben von 227 Entführten auf unvollständigen Informationen beruhten. Erst durch Nachfragen bei Eltern und eine systematische Zählung sei deutlich geworden, dass auch Schülerinnen und Schüler, die zunächst als geflohen galten, tatsächlich von den Angreifern aufgegriffen und verschleppt wurden.
Zahlenlage und erste Entkommenen

Der Vorsitzende der CAN in Niger State, Bischof Bulus Dauwa Yohanna, erläuterte, dass an der Schule vor dem Angriff insgesamt 629 Kinder eingeschrieben waren. Davon entfielen 430 auf den Primarbereich, 199 auf den Sekundarbereich. Im Grundschulzweig waren 377 Kinder Internatsschülerinnen und -schüler, 53 besuchten die Schule als Tagesschülerinnen und -schüler.
Nach dem Abgleich aller Register und der Rückmeldungen der Eltern ergibt sich nach Angaben von CAN folgende Bilanz: 303 Kinder und 12 Lehrkräfte – vier Frauen und acht Männer – gelten als entführt. Zusätzlich wurden drei Kinder von Angestellten der Schule erfasst.
Fünfzig Kinder können fliehen
Am Sonntag meldete CAN eine erste positive Entwicklung. Fünfzig der verschleppten Kinder konnten demnach ihren Entführern entkommen und zu ihren Familien zurückkehren. Nach Angaben des Medienbeauftragten der CAN in Niger State flohen sie zwischen Freitag und Samstag und kehrten direkt zu ihren Eltern zurück, statt erneut das Schulgelände aufzusuchen. Erst durch weitere Besuche bei den Familien sei das Ausmaß dieser Fluchtbewegung vollständig erfasst worden.
Die Kirchenleitung weist darauf hin, dass neben den entkommenen Kindern 141 Schülerinnen und Schüler gar nicht erst verschleppt wurden. Nach derzeitigem Stand befinden sich damit noch über 250 Kinder und 12 Mitarbeitende in der Gewalt der Entführer. CAN betont, die Schule sei Eigentum der katholischen Diözese und widerspricht Darstellungen, einzelne Ordensfrauen hätten die Einrichtung vor dem Angriff verlassen.
Kontroverse um angebliche Sicherheitswarnungen und Schulschließungen

Zu den politisch sensiblen Aspekten des Falls gehört die Frage, ob es im Vorfeld des Angriffs staatliche Warnungen gab. Vertreter der Landesregierung hatten erklärt, die Schule habe trotz eines entsprechenden Rundschreibens geöffnet. CAN widerspricht dieser Darstellung ausdrücklich. Bischof Yohanna erklärte, die Diözese habe keinen solchen Hinweis erhalten. Auch der Bildungsbeauftragte und der Verband der Privatschulen hätten keinen Zugang zu einer entsprechenden Mitteilung gehabt.
Kirchliche Vertreter bezeichnen die Hinweise auf eine Vorwarnung als „Propaganda“ und als Versuch, Verantwortung abzuwälzen. Sie verweisen darauf, dass die Schule in der Vergangenheit bei Gerüchten über Sicherheitsrisiken den Betrieb vorsorglich ausgesetzt habe. Die Leitung der Diözese fordert, die Behörden sollten offenlegen, wann, an wen und über welchen Kanal ein solches Rundschreiben versandt worden sein soll.
Reaktion des Gouverneurs und flächendeckende Schulschließungen
Als Reaktion auf die Massenentführung ordnete der Gouverneur von Niger State, Mohammed Bago, die Schließung aller öffentlichen und privaten Schulen im Bundesstaat an. Er sprach von einem „erschütternden Angriff auf unsere Kinder“ und bezeichnete die Maßnahme als Vorsichtsentscheidung, um weitere Vorfälle zu verhindern, während die Sicherheitskräfte Rettungs- und Schutzmaßnahmen verstärkten.
Der Entführungsfall in Papiri fällt in eine Phase erhöhter Alarmbereitschaft. Bereits zuvor hatte die Bundesregierung 47 sogenannte Unity Schools im ganzen Land vorübergehend schließen lassen, nachdem Verteidigungs- und Nachrichtendienste Sicherheitswarnungen über mögliche Angriffe auf Bildungseinrichtungen übermittelt hatten. Mehrere Bundesstaaten, darunter Kwara, Plateau, Taraba und Kebbi, kündigten ebenfalls zeitweilige Schulschließungen an.
Weitere Angriffe auf Schulen und nationale Sicherheitslage
Entführung in Kebbi und Angriffe auf religiöse Einrichtungen

Nur wenige Tage vor dem Angriff in Papiri waren im Bundesstaat Kebbi 25 Schülerinnen einer Mädchenschule verschleppt worden. Bewaffnete Männer drangen in den frühen Morgenstunden in eine weiterführende Schule ein, entführten Schülerinnen und töteten nach Berichten eine stellvertretende Schulleiterin. In einem weiteren Fall wurde eine Kirche im Bundesstaat Kwara angegriffen, zwei Menschen getötet und mehrere Personen entführt.
Vertreterinnen und Vertreter der Gemeinschaften betonen, dass sowohl christliche als auch muslimische Einrichtungen im Visier stehen. Frühere Entführungen in überwiegend muslimisch geprägten Orten unterstreichen aus ihrer Sicht, dass bewaffnete Gruppen Schulen vor allem wegen der öffentlichen Aufmerksamkeit und symbolischen Wirkung der Angriffe auswählen.
Bundesweite Sicherheitsreaktion und internationale Dimension
In der Hauptstadt Abuja kamen hochrangige Sicherheitsvertreter zu Dringlichkeitssitzungen zusammen. Der Nationale Sicherheitsberater Nuhu Ribadu, der sich in den USA zu Gesprächen mit amerikanischen Verteidigungsvertretern aufhält, wurde über die Vorgänge laufend informiert. Sicherheitsbehörden stellten zusätzliche Kräfte in den nordzentralen Bundesstaaten in erhöhte Einsatzbereitschaft.
Die Entführungsfälle fallen in eine Phase verstärkter internationaler Aufmerksamkeit für die Sicherheitslage in Nigeria. US-Vertreter erklärten, das Thema Sicherheit von Schulen sei Gegenstand der aktuellen Gespräche mit der nigerianischen Seite. In den betroffenen Regionen fordern lokale Führungspersönlichkeiten verbesserte Frühwarnsysteme sowie schnellere Reaktionen auf Bedrohungsmeldungen, insbesondere in ländlichen Gebieten.
Stimmen aus Zivilgesellschaft, Kirchen und internationalen Organisationen
UN-POLAC und Verweis auf Chibok
Der United Nations Positive Livelihood Award Centre (UN-POLAC) verurteilte die Entführung von Schülerinnen in Kebbi scharf. Die Direktorin für Frauen und Kinder, Professorin Cynthia Obiorah, sprach in einer Erklärung von einem „verabscheuungswürdigen Akt“ und erinnerte an die Entführung der Schülerinnen von Chibok im April 2014, die weltweit Aufmerksamkeit erregte und bis heute als Symbol für die Verletzlichkeit von Schulen in Konfliktkontexten gilt. Sie verwies auf die Verpflichtungen der Vereinten Nationen zum Schutz von Kindern, insbesondere im Rahmen der Nachhaltigkeitsziele zu Bildung und Geschlechtergerechtigkeit sowie der Resolution 1325 des UN-Sicherheitsrats zu Frauen, Frieden und Sicherheit.
Obiorah machte darauf aufmerksam, dass in den vergangenen Jahren mehr als 1.500 Schülerinnen und Schüler in Nigeria bei Angriffen auf Bildungseinrichtungen entführt wurden. Die internationale Gemeinschaft stehe an der Seite der betroffenen Familien und fordere Maßnahmen, um ähnliche Taten künftig zu verhindern.
Kirchliche Reaktionen in Nigeria und im Vatikan

Neben der Christian Association of Nigeria, die sowohl die Lage in Papiri als auch in Kebbi eng begleitet, äußerte sich auch der Vatikan zu den Entwicklungen. Papst Leo XIV. sprach von „tiefem Schmerz“ angesichts der Entführungen von Geistlichen, Gläubigen und Schülerinnen und Schülern in Nigeria und Kamerun. Er appellierte an die Entführer, die Geiseln umgehend freizulassen, und betonte das Leid der Familien.
Der Papst erinnerte daran, dass Kirchen und Schulen Orte der Sicherheit und Hoffnung bleiben müssten. Zugleich verwies die Kirche auf die Parallelen zu früheren Entführungen, deren Folgen sowohl in betroffenen Gemeinden als auch in der internationalen Öffentlichkeit nachwirken.