Wie die französische Tageszeitung Le Monde berichtet, betrifft diese Verhaftungswelle nicht nur prominente Oppositionspolitiker und Aktivisten, sondern zunehmend auch gewöhnliche Bürger, die ihre Meinung online äußern. Der Wahlkampf, der am 15. August begann, verläuft laut Beobachtern unter weitgehender Gleichgültigkeit in der Bevölkerung. Dennoch hat die algerische Regierung ihre Maßnahmen zur Unterdrückung kritischer Stimmen erheblich verschärft.
Strategische Unterdrückung vor den Wahlen
Zu den bekanntesten Betroffenen zählen Karim Tabbou und Fethi Ghares, zwei prominente Oppositionelle, die in der Vergangenheit bereits mehrfach ins Visier der Behörden geraten sind. Beide haben während der Protestbewegung Hirak, die 2019 den Sturz von Präsident Abdelaziz Bouteflika einleitete, an Bedeutung gewonnen. Tabbou, Vorsitzender der nicht zugelassenen Union démocratique et sociale, wurde am 19. August darüber informiert, dass er ab sofort keine politischen Kommentare mehr in sozialen Netzwerken veröffentlichen darf. Diese Einschränkungen sind Teil der gerichtlichen Auflagen, unter denen er steht. Ghares, der Koordinator des ebenfalls suspendierten Mouvement démocratique et social (MDS), wurde am 27. August festgenommen und zwei Tage später unter strengen Auflagen freigelassen. Er und seine Frau, Cheballah Messaouda, werden der „Beleidigung des Präsidenten“, „Verbreitung falscher Informationen“ und „Anstiftung zu Hass“ beschuldigt.
Insgesamt verzeichnet der Le Monde-Bericht, dass die Behörden in den letzten Wochen gegen eine Vielzahl von Personen vorgegangen sind. Diese Verhaftungen betreffen nicht nur prominente Oppositionelle, sondern auch Aktivisten und Bürger, die ihre Meinung in sozialen Medien teilen. Ein Beispiel ist Yacine Mekireche, ein Aktivist des MDS, der am 6. August verhaftet wurde, nachdem er einen Facebook-Beitrag veröffentlicht hatte, in dem er sich über einen Anruf von Präsident Tebboune bei der Olympiasiegerin Kaylia Nemour lustig machte. Gegen ihn wird unter anderem wegen „Verbreitung von Hassreden“ und „Aufruf zu unbewaffneten Versammlungen“ ermittelt.
Die aktuelle Repressionswelle steht laut Le Monde in direktem Zusammenhang mit der bevorstehenden Wiederwahl von Präsident Abdelmadjid Tebboune, der sich inmitten eines weitgehend kontrollierten und ruhigen Wahlkampfs ohne ernstzunehmende Debatte befindet. Die Medienlandschaft des Landes ist stark eingeschränkt, wobei die Berichterstattung hauptsächlich auf die offiziellen Aufrufe der drei Kandidaten zur Wahlbeteiligung fokussiert ist. Auch die sozialen Medien, die in der Vergangenheit als Plattform für kritische Stimmen dienten, stehen unter verstärkter Überwachung.
Juristische Repressalien hat Methode
Ein zentrales Instrument der staatlichen Repression ist das seit 2021 verschärfte Strafrecht, insbesondere der Artikel 87 bis des algerischen Strafgesetzbuches. Dieser Artikel definiert jede Aufforderung zur Änderung des Regierungssystems durch „unkonventionelle Mittel“ als Terrorismus oder Sabotage – eine Formulierung, die so vage ist, dass sie den Sicherheitsbehörden einen breiten Ermessensspielraum bei der Verhaftung von Menschenrechtsverteidigern und Oppositionellen einräumt. Le Monde zitiert in diesem Zusammenhang die UN-Sonderberichterstatterin für Menschenrechte, Mary Lawlor, die nach einem Besuch in Algerien im November 2023 die dringende Notwendigkeit einer Überarbeitung dieser problematischen Gesetze betonte.
Ein weiteres Mittel der Einschüchterung ist die übermäßige Verwendung von Untersuchungshaft, wie der Bericht von Le Monde weiter ausführt. Diese Praxis, die eigentlich als Ausnahme gedacht ist, wird in Algerien zunehmend zur Regel, um politische Gegner bereits vor ihrem Prozess monatelang in Haft zu halten.
Laut dem Menschenrechtsaktivisten Zakaria Hannache, der selbst 2022 bedroht wurde und nun im Exil in Kanada lebt, gibt es derzeit mindestens 225 politische Gefangene in Algerien – eine Zahl, die vermutlich sogar noch höher liegt, da viele Familien aus Angst vor Repressalien nicht über die Verhaftung ihrer Angehörigen sprechen.
Le Monde weist darauf hin, dass diese Verhaftungen und die juristische Verfolgung von Kritikern vor allem dazu dienen, ein Klima der Angst zu erzeugen und potenzielle Wähler sowie politische Gegner einzuschüchtern. Trotz dieser Repression bleibt die Frage offen, wie sich die politische Situation in Algerien nach den Wahlen entwickeln wird und ob das Land einen Weg zu mehr politischer Freiheit und Rechtsstaatlichkeit finden kann.