Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat sich in einer Sondersitzung intensiv mit der eskalierenden Sicherheitslage in Westafrika und der Sahelzone befasst. Generalsekretär António Guterres sprach von einer Situation, die „von Tag zu Tag kritischer“ werde. Nach Angaben der Vereinten Nationen entfallen inzwischen mehr als die Hälfte der weltweit durch Terrorismus verursachten Todesfälle auf den Sahel. Fünf der zehn am stärksten betroffenen Länder liegen in dieser Region.
Sahel entwickelt sich zum Zentrum des globalen Terrorismus
Bewaffnete Gruppen wie Jama’at Nusrat al-Islam wal-Muslimin (JNIM), der „Islamische Staat in der Großen Sahara“ (ISGS), der „Islamische Staat in Westafrika“ (ISWAP) und Boko Haram nutzen politische Instabilität, schwache staatliche Strukturen und sozioökonomische Verwundbarkeiten. Sie treiben die Vertreibung von rund vier Millionen Menschen in Burkina Faso, Mali, Niger und Nachbarstaaten voran. Über 14.800 Schulen und mehr als 900 Gesundheitseinrichtungen sind geschlossen, Millionen Menschen bleibt der Zugang zu grundlegenden Diensten verwehrt.

Nach Darstellung des Generalsekretärs entfällt zwar nur ein Teil der globalen Anschläge auf den Sahel, doch der Anteil an den Todesopfern liegt bei über der Hälfte. Die Region habe sich damit zu einem zentralen Brennpunkt für Gewalt, Vertreibung und Staatsfragilität entwickelt.
Terrorismus in Mali
Besondere Aufmerksamkeit widmete der Sicherheitsrat den jüngsten Entwicklungen in Mali. JNIM unterbricht seit September die Treibstoffversorgung über zentrale Korridore nach Bamako. Angriffe auf militärisch eskortierte Konvois beeinträchtigen sowohl zivile Versorgung als auch humanitäre Operationen.
Treibstoffmangel führt zu Engpässen in Märkten und bei Basisdiensten. Nach UN-Angaben mussten lebenswichtige Programme zeitweise Leistungen reduzieren. Zwar konnten zuletzt wieder Hunderte Lastwagen die Hauptstadt erreichen, doch die Lage bleibt angespannt und wirkt sich auch auf Burkina Faso und in geringerem Umfang auf Niger aus.
En images, le discours de la Confédération des États du Sahel (AES) délivré par Son Excellence Monsieur Issa KONFOUROU, Ambassadeur, Représentant Permanent du Mali à New York, à l’occasion de la réunion publique d’information du Conseil de sécurité des Nations Unies sur la «… pic.twitter.com/3bP0S2o2Qu
— Ministère des Affaires étrangères du Mali (@MaliMaeci) November 18, 2025
Guterres warnte vor einem „katastrophalen Dominoeffekt“ für die Region. Bereits heute dehnen etablierte Gruppen ihr Operationsgebiet in Richtung Küstenstaaten aus. Terroristische Netzwerke verknüpfen Aktivitäten im Sahel mit Strukturen im Tschadseebecken und darüber hinaus.
Politische Brüche: ECOWAS, Allianz der Sahelstaaten und regionale Architektur
Die sicherheitspolitische Lage wird durch politische Spannungen zusätzlich erschwert. Burkina Faso, Mali und Niger haben ihre Teilnahme an der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS ausgesetzt. Der Austritt der drei Sahelstaaten schwächt nach UN-Einschätzung die regionale Koordination und erschwert gemeinsame Antworten auf den Vormarsch gewaltbereiter Gruppen.
Der Generalsekretär rief zu einem „einheitlichen, kohärenten und konsensbasierten“ regionalen Ansatz auf. ECOWAS, die Allianz der Sahelstaaten, Mauritanien, Tschad und Algerien müssten Kommunikations- und Vertrauenslücken überwinden, um Sicherheitsstrukturen neu zu ordnen. Guterres verwies auf die fehlende verlässliche Finanzierung der G5-Sahel-Initiative seit 2017 und bezeichnete dies rückblickend als strategischen Fehler mit „klaren und dramatischen Konsequenzen“.

Omar Alieu Touray, Präsident der ECOWAS-Kommission, sprach von einer „existentiellen Bedrohung“ für die gesamte Region. Zwischen Januar und November 2025 registrierte ECOWAS 450 Angriffe mit mehr als 1.900 Todesopfern.
Extremistische Gruppen setzten zunehmend auf „ökonomische Kriegsführung“, blockierten Treibstofflieferungen und beeinträchtigten Handelsströme. Die Organisation treibt den Aufbau einer Standby-Truppe voran, deren Personalstärke schrittweise von 1.650 auf 5.000 Kräfte steigen soll.
Sierra Leones Präsident Julius Maada Bio, derzeit Vorsitzender der ECOWAS-Staats- und Regierungschefs, unterstrich, dass die Völker von Burkina Faso, Mali und Niger „Nachbarn und Verwandte“ seien. ECOWAS halte ihre Türen für eine spätere vollständige Reintegration offen und setze auf Dialog, um das Vertrauensdefizit mit der Allianz der Sahelstaaten abzubauen.
Humanitäre Notlage und unterfinanzierte Hilfsaufrufe
Parallel zur sicherheitspolitischen Krise verschärft sich die humanitäre Lage. Für die sechs Appelle der Vereinten Nationen für den Sahel und das Tschadseebecken im Jahr 2025 werden 4,9 Milliarden US-Dollar benötigt. Nach Angaben des Generalsekretärs ist bislang weniger als ein Viertel dieser Summe zugesagt. Besonders Mali sticht hervor: Der dortige humanitäre Hilfsplan ist erst zu rund 16 Prozent finanziert.

Guterres appellierte an die Mitgliedstaaten, die Finanzierungslücke zu schließen. Vorhersehbare, flexible Mittel seien entscheidend, um lebenswichtige Programme aufrechtzuerhalten und die Widerstandsfähigkeit betroffener Gemeinschaften zu stärken.
Terrorismus bedient sich neuer Technologien: Subsidiärgremien des Sicherheitsrats warnen
In einer weiteren Sitzung informierten die Vorsitzenden dreier Unterausschüsse des Sicherheitsrats über die sich wandelnde Bedrohung durch Terrororganisationen. Die Vorsitzende des Sanktionsausschusses zu Da’esh und Al-Qaida, Sandra Jensen Landi, sprach von einem „dynamischen und geografisch vielfältigen“ Bedrohungsbild, das sich zunehmend nach Afrika verlagert.
Terrorgruppen nutzten soziale Medien, verschlüsselte Kommunikationskanäle und Kryptowährungen für Propaganda, Rekrutierung und Finanzierung. Der Ausschuss verzeichnet derzeit 252 gelistete Einzelpersonen und 89 Organisationen. Mit einer Resolution anerkannte der Sicherheitsrat sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt als Terrorismus-Taktik und Listungsgrund.
#Mali 🇲🇱: A leader of "Al-Qaeda in #Sahel" (#JNIM) released a video to threaten Dozo militias in #Luluni.
— War Noir (@war_noir) November 18, 2025
The high-ranked militant is carrying a 7.62x39mm #Russia-made 🇷🇺 AK-103(-2) assault rifle as a status weapon —captured from #FAMa or smuggled from #Libya 🇱🇾. pic.twitter.com/Vr46u1z5UK
Algeriens Vertreter, Vorsitzender des Ausschusses für die Umsetzung der Resolution 1373, hob hervor, dass Terrorgruppen das Internet, künstliche Intelligenz und Spielplattformen für operative Zwecke nutzten. Zudem verwies er auf wachsende Verbindungen zu organisierter Kriminalität und den Einsatz unbemannter Luftfahrzeuge. Die sogenannten „Algeria Guiding Principles“ sollen Staaten dabei unterstützen, den Missbrauch von Kryptowährungen und neuen Finanztechnologien zu begrenzen.
Der Vorsitzende des Ausschusses zur Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen (Resolution 1540), Eloy Alfaro de Alba, berichtete über Bemühungen, nationale Exportkontrollregime zu stärken und Assistenzmechanismen zu aktualisieren, um die Weitergabe sensibler Materialien an nichtstaatliche Akteure zu verhindern.
Debatte über Sanktionen, Finanzierung und Menschenrechte

Mehrere Staaten betonten die Notwendigkeit, afrikanisch geführte Initiativen verlässlich zu finanzieren und zugleich rechtstaatliche Standards zu wahren. Delegierte warnten vor der Politisierung von Sanktionslisten und plädierten für transparente, evidenzbasierte Verfahren.
Vertreterinnen und Vertreter aus Europa, Afrika, Asien und Amerika hoben hervor, dass militärische Maßnahmen allein nicht ausreichen. Neben Sicherheitskooperation seien Investitionen in Bildung, Gesundheitsversorgung, Beschäftigung insbesondere für junge Menschen, lokale Governance und die Stärkung von Rechtsstaatlichkeit entscheidend, um Rekrutierungsgrundlagen gewaltbereiter Gruppen zu verringern.
Die aktuellen Diskussionen im Sicherheitsrat stützen auf die Kombination aus regionalen Sicherheitsarrangements, internationaler Finanzierung und langfristigen Entwicklungsstrategien, um die Sahelzone und Westafrika gegenüber gewaltbereitem Extremismus widerstandsfähiger zu machen.