König Mohammed VI eröffnet Parlamentssession im Lichte der GenZ-Proteste

In Rabat hat König Mohammed VI die erste Sitzung des fünften Legislativjahres der 11. Legislatur eröffnet. Das Königshaus kündigte die feierliche Sitzung und die Rede an beide Kammern per Mitteilung an. Die neue Sitzungsperiode ist die letzte dieser Legislatur und fällt in eine Phase erhöhter gesellschaftlicher Spannung. Die Regierung steht unter öffentlichem Druck, zentrale Reformen bei Bildung, Gesundheit und Justiz voranzubringen. Laut marokkanischen Medien gehört dazu die Vorlage der seit Langem angekündigten Reform der Moudawana (Familienrecht) sowie die abschließende Beratung eines neuen Strafgesetzbuchs. Überdies liegen hochschul- und schulpolitische Gesetzesinititiativen auf der Tagesordnung.

König Mohammed VI: “Soziale Gerechtigkeit ist kein Schlagwort”

König Mohammed VI stellte in seiner Ansprache die soziale Gerechtigkeit als strategische Leitlinie heraus. „Soziale Gerechtigkeit ist kein leeres Schlagwort oder eine vorübergehende Priorität, sondern eine strategische Ausrichtung, die die Mobilisierung aller erfordert“, sagte er in seiner Ansprache. Er forderte eine Kultur der Ergebnisse, schnellere Umsetzung bereits angekündigter Programme und eine präzise, datenbasierte Steuerung.

Der Monarch verwies auf die von ihm angestoßenen territorialen Entwicklungsprogramme und definierte Prioritäten: Förderung lokaler Initiativen und wirtschaftlicher Aktivitäten, Beschäftigung für junge Menschen, Stärkung von Bildung und Gesundheit sowie die Aufwertung ländlicher Räume.

Er nannte drei operative Schwerpunkte: integrierte Entwicklungsstrategien für gebirgige Regionen, nachhaltige Nutzung der Küstenräume inklusive Umsetzung des Küstengesetzes, sowie die Erweiterung ländlicher Zentren als Instrumente zur Steuerung der Urbanisierung und zur bürgernahen Dienstleistungserbringung. Der König rief Parlament und Regierung auf, die letzten Monate der Legislatur „mit Verantwortungsbewusstsein“ zur Vollendung von Gesetzes- und Programmvorhaben zu nutzen.

Politischer Kalender: Reformpakete in Bildung, Gesundheit und Justiz

Mehrere Dossiers stehen zur Entscheidung an. Die Regierung soll den Gesetzesentwurf zur Reform der Moudawananach breit angelegten Konsultationen und Begutachtung durch die Geistlichkeit ins Parlament einbringen.

Das neue Strafgesetzbuch soll nach Angaben aus Regierungskreisen noch in dieser Legislatur verabschiedet werden. Der Justizminister hat bereits prozessuale Reformen, alternative Sanktionen und Änderungen in der Zivilprozessordnung angestoßen.

Im Bildungsbereich lösen der Entwurf 59.24 zur Hochschulreform und die Schulreform Debatten aus. Gewerkschaften äußern Kritik an der ministeriellen Linie im Hochschulsektor. Geplant ist zugleich eine stärkere Regulierung des privaten Schulwesens. In beiden Bereichen kündigten die Fachausschüsse umfangreiche Anhörungen an. Medien verweisen auf die jüngste Öffnung einer Fachausschusssitzung mit dem Gesundheitsminister für die Öffentlichkeit, was als Schritt zu größerer Transparenz gewertet wurde.

Gesellschaftliche Lage: GenZ-Proteste, Forderungen und Verfahren

Die seit dem 27. September aufflammenden GenZ-Proteste prägen die Lage in mehreren Städten. Am Vorabend der Parlamentseröffnung versammelten sich junge Demonstrierende in Rabat, kündigten jedoch eine Protestpause am Tag der königlichen Rede an. Vor Ort dominierten Forderungen nach Bildungs- und Gesundheitsreformen, Beschäftigung und der Bekämpfung von Korruption. Aktivistinnen und Aktivisten betonten den friedlichen Charakter der Versammlungen.

Parallel laufen Strafverfahren in verschiedenen Städten. Laut Hespress meldeten Justizbehörden 409 Festnahmen seit Wochenbeginn; die Staatsanwaltschaft spricht von 193 Strafverfolgungen.

Die Urteile reichen von mehrjährigen Haftstrafen bis zu hohen Geldbußen, unter anderem wegen „öffentlicher Unruhen“, Sachbeschädigung, Gewalt gegen Ordnungskräfte oder „Online-Anstiftung“. Verfahren gegen Minderjährige und Sammelverfahren in Tanger, Oujda, Marrakesch und Kenitra sind anhängig. Zivilgesellschaftliche Stimmen fordern die Freilassung nicht-gewalttätiger Demonstrierender und einen strukturierten Dialog zu sozialen Fragen.

Beobachtungen deuten auf ein situatives Vorgehen der Sicherheitskräfte hin, mit Sichtbarkeit in Hotspots und punktuellen Festnahmen. Demonstrierende verweisen auf das verfassungsrechtlich garantierte Versammlungsrecht und kritisieren uneinheitliche Vollzugspraxis. Behörden betonen die Gleichbehandlung vor dem Gesetz. Lokale Medien berichten über die Nutzung von Videoaufnahmen und Drohnen zur Identifizierung von Tatverdächtigen. Prozessbeobachtende verweisen auf hohe emotionale Belastungen in einzelnen Verhandlungen.

Parlamentarische Agenda und öffentliche Erwartungen

Die Parlamentarische Rückkehr, nach der Sommerpause, markiert den Startpunkt einer dichten Agenda. Neben Familien- und Strafrecht stehen Gesundheits- und Bildungsgovernance, Haushalts- und Sozialprogramme sowie regionale Entwicklungsinstrumente an.

Die legislative Umsetzung verlangt enge Koordination zwischen Regierung, Parlamentsmehrheit und Opposition. Fachkreise erwarten zudem einen stärkeren Einbezug von Wirtschafts- und Sozialpartnern in die Gesetzesfolgenabschätzung.

Medien sehen in der Rede des Königs eine Richtungsvorgabe für die Exekutive. Diese betrifft die zügige, messbare Umsetzung bestehender Programme, die Effizienz des öffentlichen Investierens sowie einen passgenauen Zuschnitt politischer Instrumente auf verwundbare Regionen und auf die Anforderungen einer jungen Bevölkerung. Die Regierungsparteien unterstreichen ihren Willen, Bilanz zu legen und Rechenschaft in Fachausschüssen abzulegen.

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