JNIM: Wie der „ökonomische Dschihad“ Mali lahmlegt

Im westafrikanischen Mali hat sich die Sicherheits- und Versorgungslage in den vergangenen Wochen dramatisch zugespitzt. Bewaffnete Kämpfer der mit al-Qaida verbundenen Gruppe Jama’at Nusrat al-Islam wal-Muslimin (JNIM) haben zentrale Versorgungsrouten blockiert und Angriffe auf Treibstoffkonvois, Brücken und Energieinfrastruktur verübt. Wie CNN berichtet, nähert sich die Gruppe zunehmend der Hauptstadt Bamako. Der sogenannte „ökonomische Dschihad“ trifft vor allem die Zivilbevölkerung, Stromausfälle, Nahrungsmittelknappheit und steigende Preise bestimmen den Alltag.

Das öffentliche Leben kommt zum Stillstand

Die Blockade des Treibstofftransports hat weitreichende Folgen für das gesamte Land. Die staatliche Energiegesellschaft EDM-SA ist auf Dieselgeneratoren angewiesen, um den größten Teil des Strombedarfs zu decken. Da Nachschub ausbleibt, kommt es zu massiven Stromausfällen, insbesondere in Bamako und anderen städtischen Zentren. Krankenhäuser, Wasserpumpen und Bäckereien sind zunehmend handlungsunfähig.

An den Tankstellen bilden sich lange Schlangen. Lokale Medien berichten, dass sich die Polizei an Treibstoffreserven bedient, während Schulen und Universitäten geschlossen bleiben. Bildungseinrichtungen mussten in mehreren Regionen den Betrieb einstellen, weil Transportmittel fehlen und die Stromversorgung nicht mehr gewährleistet ist.

Die wirtschaftliche Isolation verschärft zudem die Versorgungslage. Landwirte können ihre Ernten nicht mehr in die Städte transportieren, da Brücken und Handelsrouten blockiert sind. Lebensmittelpreise steigen rapide und Millionen Menschen geraten in akute Ernährungsunsicherheit.

Religiöse Rechtfertigung und moralischer Widerspruch

Die Zerstörung ziviler Infrastruktur und das bewusste Aushungern der Bevölkerung stehen im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam, auf die sich die JNIM beruft. Islamische Rechtsgelehrte betonen den Schutz des Lebens (Hifdh an-Nafs) und der wirtschaftlichen Lebensgrundlagen (Maqasid al-Shari’a). Das gezielte Angreifen von Schulen, Märkten oder Brücken widerspricht diesen Grundsätzen ebenso wie die Manipulation von Versorgungswegen.

Der „ökonomische Dschihad“, der laut Terrorismusanalyst Daniele Garofalo als „Kampagne wirtschaftlicher Kriegsführung mit Blockaden, Erpressung und Besteuerung“ geführt wird, offenbart weniger ideologische Reinheit als vielmehr taktische Schwäche. Nach Einschätzung von Sicherheitsexperten handelt es sich um eine Reaktion auf die zunehmende militärische Überlegenheit der malischen Streitkräfte (FAMa).

Militärische Entwicklung und internationale Reaktionen

Nach Angaben des Counter Extremism Project hat die JNIM in den vergangenen Monaten ihre Angriffe verstärkt, vor allem auf Treibstoffkonvois aus der Côte d’Ivoire und Senegal. Im September griffen ihre Kämpfer einen Konvoi von über hundert Tanklastern an und zerstörten die Hälfte der Fahrzeuge. Regierungstruppen reagierten mit Luftangriffen und verstärkten Patrouillen, konnten die Versorgung aber bisher nicht sichern.

Das deutsche Auswärtige Amt bestätigte am 3. November die angespannte Sicherheitslage und riet deutschen Staatsangehörigen dringend zur Ausreise. Sprecher Sebastian Giese erklärte, dass „die Nationalstraßen derzeit Ziele von Angriffen terroristischer Gruppen sind“ und eine Rückkehr zur Normalität nicht absehbar sei.

Auch Großbritannien, die USA und andere Staaten haben Reisewarnungen herausgegeben. Westliche Botschaften in Bamako reduzierten ihr Personal. Nach Angaben von CNN sollen mehrere hundert russische Söldner aus dem sogenannten „Africa Corps“ gemeinsam mit den malischen Streitkräften an der Verteidigung beteiligt sein. Ihre Verluste seien erheblich und die militärische Präsenz Russlands habe die Bevölkerung teilweise weiter entfremdet.

Regionale Dimension: Gefahr der Ausweitung auf Nachbarstaaten

Die Krise in Mali hat längst überregionale Auswirkungen. JNIM-Gruppen operieren auch in Burkina Faso, Niger und zunehmend an den Grenzen zu Côte d’Ivoire und Ghana. Im Juli 2025 reklamierte die Organisation mehr als 90 Angriffe in diesen drei Staaten. Sicherheitsexperten wie Edmund Fitton-Brown vom Foundation for Defense of Democracieswarnen vor einem „unvermeidlichen Übergreifen der Instabilität auf Burkina Faso“.

Mit der Schwächung staatlicher Institutionen wächst die Gefahr einer großflächigen Destabilisierung der westafrikanischen Sahelzone. Analysten sehen Mali als mögliches Szenario für eine von al-Qaida dominierte Verwaltung, sollte die militärische Übergangsregierung um Oberst Assimi Goïta ihre Kontrolle weiter verlieren.

Energie und Ernährung als Druckmittel: Zivilgesellschaft im Ausnahmezustand

Die Angriffe auf Brücken bei Kadiana und Zégoua im Süden des Landes verdeutlichen die Strategie der gezielten Isolation. Diese Verkehrsachsen sind nicht nur militärisch relevant, sondern auch lebenswichtig für den zivilen Nachschub aus den Nachbarländern. Durch die Blockade werden Hilfsgüter und Nahrungsmitteltransporte gestoppt, was die humanitäre Krise weiter verschärft.

Der Terrorismusforscher Garofalo beschreibt die Taktik der JNIM als „systemische Schwächung durch langanhaltende Krisen, Unterbrechung von Lieferketten und Einflussnahme auf die öffentliche Meinung“. Ziel sei nicht die unmittelbare Eroberung der Hauptstadt, sondern der Aufbau von Druck durch anhaltende Instabilität.

Während die militärische Führung versucht, Kontrolle über strategische Korridore zu behalten, bleibt die Zivilgesellschaft dem wirtschaftlichen Würgegriff ausgeliefert. Stromausfälle, Treibstoffmangel und Preisexplosionen führen zu wachsendem Unmut in der Bevölkerung.

Verwandte Beiträge
Total
0
Share