Die Präsidentin des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH), Tomoko Akane, hat am 11. November 2025 vor der UN-Generalversammlung den Jahresbericht des Gerichts vorgestellt. In ihrer Rede erläuterte sie zentrale Entwicklungen der vergangenen zwölf Monate, darunter laufende Verfahren, Reparationsprozesse, neue Haftbefehle und die Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen. Akane betonte zugleich persistierende Angriffe, Drohungen und Druckversuche gegen den Gerichtshof und seine Amtsträger.
Stärkung der internationalen Strafgerichtsbarkeit im Fokus
Nach Angaben des Gerichts stellte die Präsidentin klar, dass die Unabhängigkeit der Richterschaft und die Integrität des Rom-Statuts Grundvoraussetzungen für die Wirksamkeit der internationalen Strafgerichtsbarkeit seien. Staaten und UN-Institutionen hätten dem Gericht unverzichtbare Unterstützung geleistet, ohne die die Arbeit des IStGH nicht fortgesetzt werden könne.
Universelle Geltung des Rom-Statuts als strategisches Ziel
Akane erinnerte an die Bedeutung der universellen Ratifizierung des Rom-Statuts für die Legitimität der internationalen Strafjustiz. Erstmals seit Bestehen des Gerichtshofs sei die Zahl der Vertragsstaaten auf 125 gestiegen, was etwa zwei Drittel der internationalen Staatengemeinschaft repräsentiere. Die Präsidentin kündigte an, sich weiterhin für die umfassende Umsetzung des Statuts einzusetzen und die Zusammenarbeit mit regionalen wie internationalen Organisationen weiter auszubauen.

In Gesprächen mit UN-Generalversammlungspräsidentin Annalena Baerbock und UN-Generalsekretär António Guterres bekräftigte Akane die Bedeutung einer vertieften Kooperation. Die UN stellten zentrale logistische, politische und technische Unterstützung bereit, die insbesondere bei Verfahren in Konfliktregionen wesentlich sei.
Angriffe auf den Gerichtshof und Bedrohungslage
Die Präsidentin verwies auf anhaltende Anfeindungen gegen den IStGH, darunter Sanktionen, Haftbefehle gegen Richterinnen, Richter und Mitarbeiter der Anklage sowie Cyberangriffe. Solche Maßnahmen stellten nach den Ausführungen Akanes eine erhebliche Gefahr für die globale Bekämpfung der Straflosigkeit dar. Die Präsidentin rief alle UN-Mitgliedstaaten auf, gerichtliche Unabhängigkeit zu schützen und gemeinschaftlich gegen die Unterminierung internationaler Rechtsnormen vorzugehen.
Verfahrensfortschritte und zentrale Fälle
Akane legte der Generalversammlung eine umfangreiche Bilanz vor. Während des Berichtszeitraums wurden 382 schriftliche Entscheidungen erlassen. Zu den wichtigsten Entwicklungen zählen:
Darfur, Sudan
Der Fall Abd-Al-Rahman markiert das erste Urteil aus der Darfur-Überweisung des Sicherheitsrats von 2005. Am 6. Oktober 2025 wurde der ehemalige Janjaweed-Kommandeur wegen 27 Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen verurteilt. Das Urteil basiert auf 1.861 Beweisstücken und Aussagen von 74 Zeug*innen. 1.591 Betroffene nahmen am Verfahren teil; ein Reparationsbeschluss steht bevor.
Libyen
Der IStGH erließ und veröffentlichte mehrere Haftbefehle. Hervorzuheben ist die Festnahme von Mohamed El Hishri, der Mord, Folter und sexualisierte Gewalt begangen haben soll. Seine Überstellung würde erstmals zu einem Bestätigungsverfahren im Zusammenhang mit der Libyen-Situation führen.
Uganda
In der Sache von Dominic Ongwen bestätigte die Berufungskammer einen Reparationsbeschluss zugunsten von 49.772 anerkannten Opfern. Jede betroffene Person erhält symbolisch 750 Euro. Akane berichtete von einem Besuch in Uganda, bei dem sie Vertreterinnen und Vertreter betroffener Gemeinden traf.
Zentralafrikanische Republik
Im Verfahren gegen die Anti-Balaka-Kommandeure Alfred Yekatom und Patrice-Edouard Ngaïssona wurden Schuldsprüche wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gefällt. Die Richter verhängten Freiheitsstrafen von 15 und 12 Jahren.
Reparationsprogramme und Opferbeteiligung
Akane hob hervor, dass Opfer im Zentrum des IStGH-Systems stehen. Der Gerichtshof ermögliche ihnen, ihre Erfahrungen darzustellen und Anerkennung zu finden. Der Trust Fund for Victims (TFV) spiele dabei eine entscheidende Rolle. Allein 2024 habe der Fonds tausenden Opfergemeinschaften geholfen und Maßnahmen umgesetzt, die soziale, psychologische und wirtschaftliche Auswirkungen von Gewalt mindern sollen.
Die Präsidentin rief die Vertragsstaaten auf, finanzielle Beiträge zu leisten, um die Umsetzung von Reparationsbeschlüssen zu beschleunigen.
Internationale Rechtsordnung als gemeinsames Projekt

Zum Abschluss ihres Berichts verwies Akane auf die historischen Wurzeln internationaler Strafgerichtsbarkeit, insbesondere auf die Nürnberger Prozesse. Der Schutz der internationalen Rechtsordnung sei ein „perpetual endeavour“, ein kontinuierliches gemeinschaftliches Projekt der Staatengemeinschaft. Der IStGH werde seinen Auftrag der unabhängigen und unparteiischen Strafverfolgung fortführen und damit zum globalen Rechtsstaat beitragen.