Am 9. Dezember 2025 wird die Erste Kammer des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in Den Haag das Strafmaß gegen Ali Muhammad Ali Abd-Al-Rahman, bekannt als „Ali Kushayb“, verkünden. Der frühere Anführer der Janjaweed-Milizen war am 6. Oktober 2025 wegen 27 Anklagepunkten wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Darfur schuldig gesprochen worden.
Die öffentliche Urteilsverkündung ist für 09.30 Uhr Haagener Zeit in Saal I angesetzt und wird über die Website des Gerichts live übertragen. Nach Angaben des IStGH kann die Kammer eine Freiheitsstrafe von bis zu 30 Jahren verhängen. In besonders schweren Fällen ist auch eine lebenslange Freiheitsstrafe möglich. Zusätzlich kommen Geldstrafen sowie der Verfall von Vermögenswerten in Betracht, die direkt oder indirekt aus den Straftaten stammen.
Wie das Büro des Staatsanwalts des Internationalen Strafgerichtshofs mitteilt, markiert der Fall die erste Verurteilung im Zusammenhang mit der Situation in Darfur und die erste Verurteilung in einem Verfahren, das vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen an den IStGH überwiesen wurde.
Forderung der Anklage und Gegenposition der Verteidigung
In einer gesonderten Anhörung vom 17. bis 19. November 2025 legten Anklage und Verteidigung ihre Anträge zum Strafmaß vor und präsentierten zusätzliche Beweise. Die Anklagevertreter forderten eine lebenslange Freiheitsstrafe. Nach Angaben von Radio Dabanga verwies der Anklagevertreter Julian Nicholls unter anderem auf die Rolle Abd-Al-Rahmans bei Massentötungen und auf Berichte, wonach er persönlich Menschen mit einer Axt getötet habe.

Die Verteidigung hingegen beantragte eine Freiheitsstrafe von höchstens sieben Jahren unter Anrechnung der bisher in Haft verbrachten Zeit. Dieser Antrag würde im Fall einer Bewilligung eine Freilassung innerhalb weniger Monate ermöglichen. Abd-Al-Rahman hatte sich im Juni 2020 freiwillig den Behörden der Zentralafrikanischen Republik gestellt und war anschließend an den IStGH überstellt worden, wo er seitdem im Haftzentrum in Scheveningen in Untersuchungshaft sitzt.
Die Strafzumessungskammer hat die Eingaben der Parteien und der Opfervertreter ausgewertet und die zusätzlichen Anhörungen genutzt, um straferhöhende und strafmindernde Umstände zu prüfen.
Schuldspruch wegen 27 Anklagepunkten zu Verbrechen in Darfur
Die Hauptverhandlung vor der Ersten Kammer hatte am 5. April 2022 begonnen. Die abschließenden Plädoyers wurden im Dezember 2024 gehalten. Am 6. Oktober 2025 sprach die Kammer Ali Muhammad Ali Abd-Al-Rahman in 27 von 31 Anklagepunkten schuldig. Die Verbrechen wurden zwischen August 2003 und April 2004 in mehreren Orten in Darfur begangen, unter anderem im Zusammenhang mit den Operationen in Mukjar, Deleig, Kodoom und Bindisi.
Die Kammer sah es als erwiesen an, dass Abd-Al-Rahman als lokaler Führer der Janjaweed und im Zusammenwirken mit sudanesischen Sicherheitskräften an Angriffen auf Zivilbevölkerung beteiligt war. Zu den verurteilten Tatbeständen zählen unter anderem Mord, versuchter Mord, Folter, Verfolgung, Vergewaltigung, andere Formen sexualisierter Gewalt, grausame und unmenschliche Behandlung, Plünderungen, die Zerstörung von Eigentum, Angriffe auf Zivilpersonen sowie gewaltsame Vertreibungen.

Die Richter verurteilten Abd-Al-Rahman sowohl als unmittelbaren Täter als auch als Mit- und Befehlstäter. Die Kammer sah es als erwiesen an, dass er bei bestimmten Vorfällen selbst Gewalt ausgeübt hat und in anderen Fällen Janjaweed-Milizen und staatliche Kräfte anleitete oder befahl, die Angriffe auszuführen. Vier zusätzliche Anklagepunkte wurden nicht in eigenständige Schuldsprüche überführt, da die zugrunde liegenden Handlungen bereits von anderen, bestätigten Anklagepunkten erfasst waren.
Die Verteidigung hatte sich im Verfahren im Wesentlichen auf die Behauptung einer Verwechslung der Person gestützt und argumentiert, Abd-Al-Rahman sei nicht identisch mit dem gefürchteten Milizenführer „Ali Kushayb“. Die Kammer folgte dieser Darstellung nicht und verwies auf umfangreiche Zeugenaussagen sowie Dokumente und audiovisuelle Beweismittel, in denen der Angeklagte als „Colonel of Colonels“ identifiziert wurde.
Einordnung durch Anklagebehörde und UN-Menschenrechtskommissariat
Das Büro des Anklägers bezeichnete die Verurteilung als einen entscheidenden Schritt zur Schließung der Straflosigkeitslücke in Darfur. Die stellvertretende Chefanklägerin Nazhat Shameem Khan hob hervor, dass das Urteil eine Vielzahl von Zeugenaussagen anerkennt, in denen Betroffene über Massentötungen, sexualisierte Gewalt und gewaltsame Vertreibungen berichtet hatten.
Zugleich unterstreicht die Anklage, dass es sich um die erste Verurteilung im Darfur-Komplex handelt und zudem um die erste Verurteilung wegen geschlechtsspezifischer Verfolgung vor dem IStGH. Das Verfahren gilt daher als Referenzfall für die gerichtliche Aufarbeitung großflächiger Gewalt gegen Zivilpersonen im Kontext des Darfur-Konflikts.
Auch das Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte begrüßte den Schuldspruch. Hochkommissar Volker Türk bezeichnete die Verurteilung als wichtige Anerkennung des Leidens der Opfer und als ersten Schritt zu Wiedergutmachung. Er würdigte die Rolle derjenigen, die ihre Erfahrungen trotz persönlicher Risiken vor Gericht geschildert haben, und verwies auf die Funktion des IStGH als Gerichtshof letzter Instanz, wenn nationale Verfahren nicht zur Rechenschaft führen.
Verfahrensstand: Berufung und Reparationen
Parallel zur Vorbereitung der Strafzumessung hat die Verteidigung am 6. November 2025 fristgerecht Berufung gegen den Schuldspruch eingelegt. Die rechtliche Überprüfung des Urteils durch die Berufungskammer betrifft die Frage, ob das Verfahren fair geführt wurde und ob die Erste Kammer Recht und Beweise korrekt angewandt und gewürdigt hat.
Unabhängig vom Rechtsmittelverfahren bereitet der Gerichtshof eine eigene Phase zu Reparationen für die Opfer vor. Nach Angaben des IStGH soll im Anschluss an die Strafzumessung ein separates Verfahren eröffnet werden, in dem Umfang und Form möglicher Entschädigungsmaßnahmen bestimmt werden. Die Kammer kann etwa individuelle oder kollektive Reparationen anordnen und hierzu den Treuhandfonds für Opfer einbeziehen.
📅The decision on the sentence against Mr #AbdAlRahman, who was found guilty of crimes against humanity and war crimes committed in #Darfur #Sudan, will be delivered on 9 December 2025 at 09:30 (Hague time). Learn more⤵️https://t.co/DrgptvPxae
— Int'l Criminal Court (@IntlCrimCourt) November 19, 2025
Das Verfahren gegen Abd-Al-Rahman ist Teil eines breiteren Komplexes zur strafrechtlichen Aufarbeitung der Verbrechen in Darfur. Neben ihm stehen weitere ehemalige Repräsentanten des sudanesischen Regimes unter Anklage, darunter der frühere Präsident Omar Al-Bashir, der frühere Verteidigungsminister Abdel Rahim Mohamed Hussein und der ehemalige Staatsminister des Inneren Ahmed Haroun. Anders als Abd-Al-Rahman befinden sich diese Personen bislang nicht in Haft des IStGH.
Mit der anstehenden Entscheidung über das Strafmaß setzt die Erste Kammer ein weiteres wichtiges prozessuales Etappenzeichen in einem Verfahren, das seit der Ausstellung der ersten Haftbefehle im Jahr 2007 und der Überstellung Abd-Al-Rahmans im Jahr 2020 einen maßgeblichen Teil der Darfur-Aufarbeitung vor dem Internationalen Strafgerichtshof bildet.