Kathrin Henneberger: “Dekolonialisierung bleibt zentrale Herausforderung!”

Multilateralismus und nachhaltige Entwicklung sind zentrale Themen globaler Politik – und sie stehen auch im Fokus der Arbeit von Kathrin Henneberger. Als Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen setzt sie sich insbesondere für eine klimagerechte Transformation, den Schutz von Menschenrechten sowie für eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit dem Globalen Süden ein.

In ihrer Funktion als ordentliches Mitglied im Ausschuss für Klimaschutz und Energie sowie als Obfrau ihrer Fraktion im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung bringt Henneberger ihre langjährige Erfahrung als Klimaaktivistin in die parlamentarische Arbeit ein.

Im Gespräch mit FOKUS AFRIKA spricht Kathrin Henneberger über ihre politischen Schwerpunkte, die Herausforderungen globaler Klimapolitik und die Bedeutung einer gerechten Zusammenarbeit zwischen Deutschland und afrikanischen Staaten.

Schwerpunkt: “Globale Klimagerechtigkeit”

FOKUS AFRIKA: Welche drei Erfolge haben die Grünen in der deutsch-afrikanischen Entwicklungspolitik erreicht?

Kathrin Henneberger: “Ein Schwerpunkt meiner persönlichen Arbeit liegt bei globaler Klimagerechtigkeit. Auf dem Weg dorthin haben wir zwei große Fortschritte erreicht. Erstens wurden auf der letzten Klimakonferenz der Vereinten Nationen (COP29) erstmals im Konsens aller Staaten die globalen Bedarfe an Klimafinanzierung anerkannt. Sie zu decken, erfordert in den nächsten Jahren enorme Kraftanstrengungen. Zweitens wurde auf der VN-Klimakonferenz im Vorjahr (COP28) endlich ein Fond für die Bewältigung von klimabedingten Schäden und Verlusten in den verletzlichsten Ländern eingerichtet. Dafür kämpfen meistbetroffene Menschen und Regionen seit mehr als dreißig Jahren. Dieser Fond wird zwar noch eingerichtet, kann und muss aber schon mit neuen Finanzzusagen gefüllt werden. Auch Deutschland kommt hierfür eine große Verantwortung zu.

Drittens hat Entwicklungsministerin Svenja Schulze eine Reform der Weltbankgruppe vorangetrieben, derzufolge Armutsbekämpfung in einer lebenswerten Umwelt zum Hauptziel der größten Entwicklungsbank geworden ist und mit mehr Mitteln gefördert werden kann. Auch hier bleibt noch viel zu tun: Zum Beispiel finanziert die Weltbankgruppe immer noch fossile Expansion. Auch werden manche Menschenrechte trotz hoher Standards immer noch nicht ausreichend in der Projektpraxis geschützt. Zudem können die Empfängerländer des globalen Südens in Steuerungsgremien der Weltbankgruppe nicht gleichwertig mitbestimmen. Hieran bleibt weiterzuarbeiten.

Viele weitere Erfolge von Gesundheit über Bildung bis Sicherheit listet der entwicklungspolitische Bericht der Bundesregierung auf.”

Aufarbeitung deutscher Kolonialvergangenheit ist zu langsam

FOKUS AFRIKA: Was bleibt die zentrale Herausforderung in der Weiterentwicklung der deutsch-afrikanischen Beziehungen? Und wie wollen Sie diese in der nächsten Legislatur lösen?

Kathrin Henneberger: “Eine zentrale Herausforderung bleibt die Dekolonialisierung der deutsch-afrikanischen Beziehungen. Unter dieser Bundesregierung haben das Auswärtige Amt und das Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wichtige Schritte zur Aufarbeitung unternommen – intern sowie mit vor allem afrikanischen Partnerländern:

Zum Beispiel wurden nach 125 Jahren erstmals zwanzig Benin-Bronzen in ihre Heimat nach Nigeria zurückgegeben. Aber nach wie vor lagern zahlreiche geraubte afrikanische Kulturgüter und Gebeine in deutschen Museen. Wichtig war auch, dass deutsche Regierungsvertreter*innen wie Bundespräsident Steinmeier in Tansania, Namibia und Kamerun um Verzeihung für deutsche Kolonialverbrechen und den Völkermord gebeten haben. Aufrichtige Entschädigungen – in dem Wissen, dass keine Summe die begangene Gewalt aufwiegen kann – stehen jedoch aus.

Die Aufarbeitung der deutschen Kolonialvergangenheit findet in den afrikapolitischen Leitlinien der Bundesregierung vom Januar 2025 Beachtung. Sie darf nicht beim Reflektieren und Erinnern enden, sondern muss in die Dekonstruktion kolonialer Kontinuitäten münden. Dies geschieht viel zu spät, viel zu langsam. Gerade deshalb muss dieser Prozess in der kommenden Legislaturperiode ernsthaft fortgeführt werden.”

Kathrin Henneberger: “Diaspora-Expertise muss bezahlt werden”

FOKUS AFRIKA: Wie können afrikanische Diaspora-Gemeinschaften in Zukunft stärker als Brückenbauer in die Arbeit des BMZs eingebunden werden?

Kathrin Henneberger: “(Post-)Migrantische und diasporische Gemeinschaften leisten unersetzliche Beiträge für vielfältige, tolerante und demokratische Gesellschaften. Sie setzen im Globalen Süden Projekte um, die durch das AA und BMZ gefördert werden, führen aber auch hierzulande politische Bildungsarbeit durch. Ihre Perspektiven, ihr Wissen und ihre Netzwerke sind nicht nur, aber gerade auch in fragilen Kontexten wichtig, wo staatliche Strukturen für bilaterale Kooperation nicht verfügbar sind. Obwohl ihr Engagement in den letzten Jahren politisch mehr wertgeschätzt wurde, stehen sie noch vor großen Herausforderungen.

Wir möchten afrikanische und afrodiasporische Perspektiven und Ressourcen in Zukunft stärker berücksichtigen. Im Wahlprogramm steht geschrieben: “Wir wollen eine eigenständige Entwicklungspolitik, die strukturelle Ungerechtigkeiten abbaut und weltweit gleichberechtigte Partnerschaften gestaltet. Dazu gehört auch ein Entwicklungsministerium, das verstärkt mit zivilgesellschaftlichen Akteuren und der Diaspora kooperiert.“

Deshalb ist es notwendig, zivilgesellschaftliche Beratungs- und Beteiligungsstrukturen im BMZ wie in jedem anderen Ministerium auszubauen. Afrikanische Diaspora-Gemeinschaften sollten generell und gezielt eingeladen werden bzw. ihrem Wunsch nachgekommen werden, ihre Expertise einzubringen – nicht nur ehrenamtlich, sondern auch bezahlt. Darüber hinaus setze ich mich im Bundestag für eine stabile und wachsende Entwicklungsfinanzierung ein, die auch Diaspora-Organisationen im Inland zugutekommt. Sie muss zudem leichter zugänglich werden, insbesondere für nicht-institutionalisierte Engagementformen. Wo die Opposition streichen will, sage ich: Demokratie verteidigen – jetzt erst recht!”

Kathrin Henneberger will demokratische Strukturen fördern

FOKUS AFRIKA: Nennen Sie die aus Ihrer Sicht drei wichtigsten afrikanischen Staaten, zu der Deutschland privilegierte Partnerschaften aufnehmen sollte.

Kathrin Henneberger: “Vor dem Hintergrund zunehmend autokratisch regierter Staaten weltweit sollte die deutsche Entwicklungszusammenarbeit künftig noch stärker demokratische und zivilgesellschaftliche Strukturen in den betroffenen Regionen unterstützen. Das bedeutet insbesondere auch direkte und unbürokratische finanzielle Förderung für die meistbetroffenen und vulnerablen Bevölkerungsgruppen sowie für Organisationen, die vor Ort für Menschenrechte kämpfen. Beispielsweise gibt es in Uganda Menschenrechtsorganisationen, die sich trotz verstärkter Repressionen für queere Rechte einsetzen. Wir wollen “Good Governance” stärken, Korruption bekämpfen, unabhängigen Journalismus fördern und Menschenrechtsverteidiger*innen unterstützen.

Unter anderem sollte sich die deutsche Entwicklungszusammenarbeit mehr auf Zugänge zu dezentralen erneuerbaren Energien richten. Trotz der großen Energiearmut gehen nur zwei Projekte der globalen Investitionen in diese klimafreundliche Technologie nach Afrika. Stattdessen investieren europäische Konzerne auf dem Kontinent massiv in den machtzentralisierten Abbau fossiler Rohstoffe wie die ostafrikanische Öl-Pipeline EACOP – obwohl die Klimakrise dort schon heute Menschenleben kostet. Die Gewinne kommen nur zu Bruchteilen der Bevölkerung zugute und fließen zu großen Teilen in den Globalen Norden. Dafür werden lokale Gemeinschaften oft von ihrem Land vertrieben und bedroht, wenn sie sich wehren. Solche Geschäfte kreieren und befeuern blutige Konflikte, wie im Ostkongo um Rohstoffe. Gerechte Lieferketten und ein Ende des Handels von Konfliktmineralien auf dem Weltmarkt sind zwingend notwendig. Solange dies nicht passiert, bleibt der Globale Norden mitverantwortlich.”

4-Punkte-Plan für die nächste Legislatur

FOKUS AFRIKA: Wie schauen Sie rückblickend auf Ihre letzte Legislaturperiode und was wünschen Sie sich persönlich für die nächsten vier Jahre?

Kathrin Henneberger: “Wir haben viel für globale Gerechtigkeit erreicht, mussten dies aber stets gegen die Opposition und teils auch unsere Koalitionspartner verteidigen. Ich befürchte Kürzungen bei der Entwicklungsfinanzierung. Die sehen wir auch im globalen Trend und mit Blick auf die USA. Globale Krisen können wir nur global lösen. Deshalb brauchen wir jetzt starke Partnerschaften und mehr Entwicklungszusammenarbeit. Aber sie muss sich auch stetig reflektieren und weiterentwickeln.

In den nächsten vier Jahren möchte ich weiterarbeiten:

  1. am Ende des fossilen Extraktivismus und Zugang zu erneuerbaren Energien;
  2. für Sicherheit in der Sahelzone und die Befriedung von Konfliktregionen wie des Ostkongos;
  3. am Aufbau klimaresilienter Infrastruktur in meist betroffenen Regionen, wie z.B. funktionierenden und ausreichend ausgestatteten Gesundheitswesen;
  4. für feministische Entwicklungspolitik, die dazu beiträgt, ungleiche Machtverhältnisse auszugleichen und allen Menschen eine gleichberechtigte Teilhabe zu ermöglichen.”
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