Die Sicherheitslage in der Sahelzone und ihren angrenzenden Küstenstaaten stellt Westafrika vor wachsende politische und militärische Herausforderungen. Militärische Machtübernahmen in Guinea-Bissau und ein vereitelter Putschversuch in Benin haben zuletzt erneut die Rolle der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS auf die Probe gestellt. Nach Einschätzung von Expertinnen und Experten der britischen Denkfabrik Chatham House bleibt jedoch die sich ausweitende Sahel-Sicherheitskrise die weitaus größere Belastungsprobe für die regionale Ordnung und die politische Handlungsfähigkeit der westafrikanischen Staaten.
Putschversuche in Westafrika und die Rolle von ECOWAS
Am 7. Dezember 2025 versuchten Einheiten unter Führung eines Kommandeurs von Spezialeinheiten in Benin die Macht zu übernehmen. Der Umsturzversuch wurde rasch vereitelt. Loyalen Regierungskräften gelang es, mit Luftunterstützung und unter Beteiligung von Truppen aus anderen ECOWAS-Mitgliedstaaten die Kontrolle vollständig wiederherzustellen. Der Einsatz diente laut Angaben aus der Region dazu, die staatliche Autorität zu stabilisieren und weitere Eskalationen zu verhindern.
Nur wenige Wochen zuvor hatten Soldaten in Guinea-Bissau nach den Präsidentschaftswahlen die Macht übernommen. Das Land ist seit Jahrzehnten von politischer Instabilität geprägt. ECOWAS reagierte mit diplomatischen Bemühungen und setzte Guinea-Bissau vorübergehend von den Entscheidungsstrukturen der Organisation aus. Nach Einschätzung von Beobachtern verfügt ECOWAS über erhebliche Erfahrung im Umgang mit begrenzten nationalen Krisen wie in Guinea-Bissau, bei denen politische Vermittlung und Kompromisse im Vordergrund stehen.
Der Fall Benin galt hingegen als ungewöhnlich. Das Land hatte seit rund fünf Jahrzehnten keinen Putschversuch erlebt. Die jüngsten Ereignisse verdeutlichen nach Einschätzung von Analysten, dass selbst vergleichsweise stabile Staaten zunehmend unter dem Druck regionaler Sicherheitsentwicklungen stehen.
Die Sahel-Sicherheitskrise als strukturelle Bedrohung
Über diese nationalen Krisen hinaus sehen Expertinnen und Experten die fortschreitende Ausbreitung bewaffneter Gewalt im Sahel als zentrale Herausforderung für Westafrika. Seit mehr als einem Jahrzehnt sind insbesondere Burkina Faso, Mali und Niger von einer komplexen Sicherheitskrise betroffen.

Jihadistische Angriffe auf Sicherheitskräfte und Zivilbevölkerung überlagern sich dort mit organisierter Kriminalität, Schmuggelnetzwerken sowie lokalen Konflikten um Land und natürliche Ressourcen.
Nach Einschätzung von Fachleuten hat sich diese Krise in den vergangenen Jahren weiter verschärft und geografisch ausgeweitet. Die Gewalt beschränkt sich nicht mehr auf den zentralen Sahel, sondern greift zunehmend auf die nördlichen Regionen von Küstenstaaten wie Benin, Togo und Nigeria über. In Benin und Togo kam es wiederholt zu direkten Angriffen jihadistischer Gruppen. In Nigeria wird die langjährige Bedrohung durch Boko Haram und den sogenannten Islamischen Staat Provinz Westafrika im Nordosten inzwischen durch zunehmende Gewalt und bewaffnete Bandenaktivitäten im Nordwesten ergänzt, insbesondere im Bundesstaat Zamfara.
Mali und die Blockade von Versorgungsrouten
Einen neuen Höhepunkt erreichte die Krise Anfang September 2025 in Mali. Kämpfer der Gruppe Jama’at Nusrat ul-Islam wal-Muslimin blockierten zentrale Treibstoffrouten nach Bamako. Durch wiederholte Angriffe auf Lastwagenkonvois, die den Binnenstaat mit Treibstoff versorgen, geriet die malische Wirtschaft erheblich unter Druck. Besonders betroffen waren Regionen im Süden und Westen des Landes, die zuvor vergleichsweise weniger von der Gewalt betroffen gewesen waren.
Beobachter gehen nicht davon aus, dass die militanten Gruppen über die Fähigkeit oder den Willen verfügen, die Hauptstadt Bamako oder den Staat insgesamt zu übernehmen. Dennoch bleibt der destabilisierende Effekt erheblich. Nachdem die Angriffe auf Treibstoffkonvois Ende November kurzzeitig nachgelassen hatten, wurden am 6. Dezember erneut mindestens 15 Lastwagen im Süden Malis in Brand gesetzt. Die anhaltende Unsicherheit belastet Wirtschaft, Versorgungslage und staatliche Handlungsfähigkeit.
Politische Folgen und regionale Spannungen

Die Ausweitung der Gewalt hat auch politische Folgen. In Benin rechtfertigten die mutmaßlichen Putschisten ihren Umsturzversuch unter anderem mit der sich verschlechternden Sicherheitslage und dem Tod von Soldaten bei jüngsten Angriffen.
Beobachter sehen darin ein Beispiel dafür, wie sicherheitspolitische Belastungen Unzufriedenheit innerhalb militärischer Strukturen verstärken können, selbst in Staaten, deren politische Konflikte bislang vor allem durch verfassungsrechtliche und wirtschaftliche Auseinandersetzungen geprägt waren.
Die Lage wird zusätzlich dadurch erschwert, dass Mali, Burkina Faso und Niger nach Militärputschen zwischen 2020 und 2023 ein angespanntes Verhältnis zu vielen Küstenstaaten haben. Im Januar 2025 traten diese drei Länder aus der ECOWAS aus und konzentrieren sich seither auf den Ausbau ihrer eigenen regionalen Struktur, der Alliance des États du Sahel (AES). Diese politische Fragmentierung erschwert nach Einschätzung von Expertinnen und Experten eine koordinierte regionale Sicherheitsstrategie.
Externe Akteure und begrenzte Entlastung
Vor diesem Hintergrund spielen auch externe Akteure eine Rolle. Das russische Africa Corps, das im Juni 2025 in Mali die Wagner-Gruppe ablöste, begleitete Berichten zufolge zuletzt gemeinsam mit den malischen Streitkräften einen Treibstoffkonvoi von Niger nach Bamako. Moskau sagte zudem Unterstützung durch Treibstoff- und Agrarlieferungen zu, um die wirtschaftlichen Folgen der Blockade abzufedern.
Diese Maßnahmen werden jedoch als kurzfristige Entlastung bewertet. Eine nachhaltige Eindämmung der Sahel-Sicherheitskrise erfordert nach Einschätzung von Fachleuten vor allem eine Verbesserung der bilateralen und regionalen Beziehungen in Westafrika. Angesichts der zunehmenden Bedrohung sehen viele Beobachter die Notwendigkeit, politische Differenzen zurückzustellen und gemeinsame sicherheitspolitische Antworten auf die immer komplexer werdenden Herausforderungen zu entwickeln.