Am 16. November wurde der algerische Schriftsteller Boualem Sansal unmittelbar nach seiner Ankunft aus Paris am Flughafen in Algier festgenommen. Laut Berichten, unter anderem von der französischen Zeitung Le Figaro, wurde er von den Sicherheitsbehörden abgeführt. Seitdem gibt es keine Informationen über seinen Aufenthaltsort, seine Mobiltelefone wurden deaktiviert, und offizielle Stellen haben bisher keine Details zu seiner Festnahme bekanntgegeben.
Wie kam es zur Verhaftung von Boualem Sansal?
Die staatliche algerische Nachrichtenagentur APS bestätigte Sansals Festnahme erst mehrere Tage später in einer beunruhigenden und hasserfüllten Pressemitteilung. In dieser wurde er als „Marionette des algerischen Revisionismus“ bezeichnet. Die offiziellen Vorwürfe lauten auf „Zusammenarbeit mit dem Feind“, wobei weder der angebliche „Feind“ noch die genauen Gründe für diesen Vorwurf genannt werden. Es wird vermutet, dass die Anerkennung der marokkanischen Souveränität über die Westsahara durch Frankreich sowie Sansals kritische Äußerungen in der Sendung Frontières am 2. Oktober über die Rolle Algeriens im Westsahara-Konflikt die Verhaftung ausgelöst haben könnten. In der Sendung warf er dem algerischen „Militärregime“ vor, die Polisario zur „Destabilisierung Marokkos“ erfunden zu haben.
Sein Anwalt in Frankreich, François Zimeray, erklärte am Montag gegenüber dem französischen Sender RTL, dass Sansal voraussichtlich am 25. November vor ein algerisches Gericht gestellt werde. Zimeray betonte jedoch: „Wir wissen nicht, wo er sich befindet oder unter welchen Bedingungen er festgehalten wird.“ Vor dem französischen Nachrichtensender BFM TV erklärte er am 25. November um 19:12 Uhr, dass er keine guten Neuigkeiten habe. Er erhalte widersprüchliche Informationen und äußerte die Sorge, dass die algerische Justiz dem Schriftsteller möglicherweise keine Möglichkeit zur Beauftragung einer Rechtsverteidigung einräumt.
Reaktionen aus Frankreich und Deutschland
Die Verhaftung hat international Besorgnis ausgelöst. In Frankreich reagierten sowohl staatliche Stellen als auch zivilgesellschaftliche Akteure empört. Ein Sprecher des Élysée erklärte, Präsident Emmanuel Macron sei „zutiefst besorgt“ über das Verschwinden des Autors, der 2024 die französische Staatsbürgerschaft erhalten hatte.
Auch aus der Literaturszene kam Unterstützung: Der Verlag Gallimard, der Sansals Werke veröffentlicht, bezeichnete die Verhaftung als „Angriff auf die Meinungsfreiheit“ und forderte seine sofortige Freilassung. Die Académie française äußerte in einem Kommuniqué: „Wir teilen die Hoffnung, dass Boualem Sansal unverzüglich freigelassen wird. Wir haben diesen talentierten und überzeugten Schriftsteller bereits zweimal ausgezeichnet. Seine einzigartige Stimme ist uns lieb und teuer.“
In Deutschland forderten PEN Deutschland und der Börsenverein des Deutschen Buchhandels ebenfalls die Freilassung Sansals. Thea Dorn, Sprecherin des PEN Berlin, erklärte: „Boualem Sansal ist eine der wichtigsten Stimmen der französischsprachigen Literatur. Sollte es sich bestätigen, dass im gegenwärtigen Algerien historische Betrachtungen, die ein Schriftsteller anstellt, als Angriff auf die Souveränität und nationale Integrität des Staates ausgelegt werden, wäre dies nicht nur absurd, sondern auch ein eklatanter Angriff auf das Menschenrecht der Meinungsfreiheit.“
Das Auswärtige Amt sieht die Menschenrechtslage in Algerien kritisch
Das Auswärtige Amt beurteilt die Menschenrechtslage in Algerien als kritisch. Auf Anfrage von FOKUS AFRIKA wurde unter anderem mitgeteilt, dass seit 2019 – also mit der Wahl von Präsident Abdelmadjid Tebboune – die Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit erheblich eingeschränkt werde.
Immer wieder komme es zu willkürlichen Verhaftungen von Journalisten und Aktivisten. Die Medien unterlägen einer strengen staatlichen Kontrolle, und der Handlungsspielraum der Zivilgesellschaft wird zunehmend eingeschränkt.
MENA-Direktor Tobias Tunkel schweigt
Während Boualem Sansal festgenommen wurde, befand sich der deutsche MENA-Beauftragte, Botschafter Dr. Tobias Tunkel, zu Gesprächen in Algerien. Offiziellen Angaben zufolge traf er sich mit Vertretern der Zivilgesellschaft und der Politik. Außerdem besuchte Botschafter Tunkel im Rahmen einer von der UN organisierten Reise ein Flüchtlingslager in Tindouf. Die gleichzeitige Verhaftung Sansals und Tunkels diplomatische Mission sowie sein Schweigen sorgen für Irritationen. Seine Kommunikation in sozialen Medien erschien jedoch unangemessen. Die Tweets werden von Menschenrechtsaktivisten als Verharmlosung der Realität eines autoritären Militärstaates kritisiert.
My favorite espresso bar and my favorite barista. #Tindouf pic.twitter.com/5SrrVjbxBX
— Tobias Tunkel (@GermanyOnMENA) 21. November 2024
Zudem wird die finanzielle Unterstützung für Projekte wie die MINURSO-Mission und humanitäre Hilfe für von der Polisario kontrollierte Lager zunehmend kritisch hinterfragt. Kritiker argumentieren, dass solche Gelder indirekt die Legitimität eines repressiven Regimes stärken und zur Stabilisierung autoritärer Macht beitragen könnten.
Geopolitischer Kontext: Algeriens Rolle in Afrika
Algerien wird von Experten zunehmend als destabilisierender Akteur in der Region wahrgenommen. Neben seiner Unterstützung der Polisario-Front im Westsahara-Konflikt wird dem Regime vorgeworfen, Krisenherde in Ländern wie Mali, Niger und Tschad durch die Förderung von Separatisten und Milizen zu befeuern. Diese Politik verschärft bestehende Konflikte und gefährdet die Stabilität in Nordafrika und dem Sahel.
Gefahr für Boualem Sansal
Die Situation Boualem Sansals bleibt besorgniserregend. Ohne internationale Intervention droht ihm eine lange Haftstrafe. Seine geplante Lesung in Münster im Januar 2025 steht unter dem aktuellen politischen Druck in Frage. Die deutsche Außenpolitik wird eine klare Haltung gegenüber Algerien einnehmen müssen, um sowohl Sansals Freilassung zu unterstützen als auch ihren Beitrag zur Befriedigung der geopolitischen Lage zu leisten.