Ein aktueller Bericht der National Intelligence Academy der Türkei analysiert die strategische Partnerschaft zwischen Ankara und Mogadischu und beschreibt ein Umfeld wachsender politischer, sicherheitspolitischer und wirtschaftlicher Risiken. Das Dokument mit dem Titel „A Multidimensional Partnership Model“ stützt sich auf Felddaten, sicherheitsbehördliche Informationen und diplomatische Unterlagen. Es zeichnet ein Bild einer vertieften bilateralen Zusammenarbeit, deren Erfolg jedoch stark von der Stabilität Somalias abhängt. Die Analyse identifiziert fünf Kernrisiken, die sowohl den internen Zustand des Landes als auch die Perspektiven der türkisch-somalischen Beziehungen prägen.
Anhaltende Bedrohung durch bewaffnete Gruppen
Als größtes Risiko beschreibt der Bericht die fortbestehende Präsenz von al Shabab. Die Miliz führt weiterhin Anschläge durch und betreibt in ländlichen Regionen parallele Verwaltungsstrukturen. Nach Einschätzung der Nachrichtendienste konnten gemeinsame Offensiven 2022 zwar Erfolge erzielen, diese jedoch nicht dauerhaft stabilisieren. 2023 gewann al Shabab erneut an Einfluss. Ergänzend verweist die Analyse auf ein kleineres ISIS-Netzwerk in Puntland, dessen Aktivitäten zusätzliche Unsicherheit erzeugen. Die somalische Armee bleibe weiterhin auf externe militärische Unterstützung angewiesen.
Unvollständiges föderales System und politische Fragmentierung
Das zweite Risiko betrifft die anhaltenden Streitpunkte innerhalb des föderalen Systems. Die unvollständige Verfassung und unklare Zuständigkeiten zwischen Mogadischu und den Bundesstaaten erschweren eine konsistente Regierungsführung. Wiederkehrende Konflikte über Wahlen und Einnahmen, insbesondere mit Puntland und Jubaland, blockieren nationale Entscheidungsprozesse. Nach Angaben des Berichts beeinträchtige dies auch Infrastruktur- und Entwicklungsprojekte der Türkei, die auf verlässliche Abstimmungen zwischen zentralen und regionalen Behörden angewiesen sind.
Schwache staatliche Institutionen
Als drittes Risiko nennt der Bericht strukturelle Governance-Defizite. Unzureichende administrative Kapazitäten, begrenzte Kontrollmechanismen und eine fortbestehende Abhängigkeit von internationalen Gebern verhinderten den Aufbau tragfähiger staatlicher Dienstleistungen. Zwar habe die Umschuldung im Rahmen von Reformen beim Internationalen Währungsfonds und der Weltbank Fortschritte ermöglicht, dennoch fehle dem Land die fiskalische Eigenständigkeit, um langfristige Stabilität zu sichern. Verzögerungen in Beschaffung und Projektumsetzung seien weiterhin ein Hindernis.
Klimabedingte Belastungen
Wiederkehrende Dürren und klimabedingte Schocks bilden das vierte Risiko. Der Bericht verweist auf zunehmende Ernährungsunsicherheit und steigende Anfälligkeit für Rekrutierungen extremistischer Gruppen. Die Nachrichtendienste warnen, dass künftige klimabedingte Belastungen großflächige Binnenvertreibungen auslösen könnten, die staatliche Kapazitäten überfordern und zusätzliche Instabilität erzeugen.
Externe geopolitische Spannungen und Desinformation
Das fünfte Risiko umfasst geopolitische Dynamiken und Informationsoperationen. Somalias Lage am Roten Meer mache das Land anfällig für regionale und internationale Rivalitäten. Der Bericht nennt die diplomatische Krise um das 2024 geschlossene Memorandum zwischen Äthiopien und Somaliland als Beispiel für potenzielle Eskalationen. Analysen zufolge bedroht diese Volatilität auch wichtige Schifffahrtsrouten im Golf von Aden und der Meerenge Bab el Mandeb. Parallel dazu verbreiten sich Desinformationskampagnen schnell, insbesondere Darstellungen, die das türkische Engagement vorwiegend als militärisch oder extraktiv kennzeichnen. Die schwachen Medienstrukturen erleichtern die Verbreitung solcher Narrative und erschweren politische Abstimmungen.
Fortschritte und verwundbare Entwicklungsperspektiven
Der Bericht erwähnt Fortschritte wie Infrastrukturinvestitionen in Mogadischu, eine intensivierte Sicherheitskooperation und die potenziellen wirtschaftlichen Chancen durch Somalias Beitritt zur Ostafrikanischen Gemeinschaft. Dennoch bleiben diese Entwicklungen nach Einschätzung der Analysten anfällig für die identifizierten Risiken. Die zentrale Schlussfolgerung lautet, dass langfristige Stabilität nur erreichbar sei, wenn Somalia funktionsfähige Institutionen aufbaut, militante Bedrohungen reduziert, politische Konflikte entschärft, externe Druckfaktoren bewältigt und eine tragfähige wirtschaftliche Basis schafft.
Ausweitung der türkisch-somalischen Partnerschaft

Seit dem Besuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Mogadischu im Jahr 2011 hat die Türkei ihre Präsenz in Somalia stetig erweitert. Das Engagement umfasst Sicherheitskooperation, Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und humanitäre Unterstützung.
Camp TURKSOM in Mogadischu ist die größte Ausbildungseinrichtung der Türkei im Ausland und hat mehr als 15.000 somalische Soldaten ausgebildet. Türkische Unternehmen betreiben zentrale Infrastruktur wie den Aden-Adde-Flughafen und den Hafen von Mogadischu.
Auch diplomatisch intensivierten beide Staaten ihre Zusammenarbeit. Neben den Neubauten großer Botschaftsanlagen verweisen türkische Regierungsstellen auf strategische Parallelen zu Einsätzen in Syrien: Sicherheitsstabilisierung als Grundlage für wirtschaftliches Engagement. Die finanzielle und entwicklungspolitische Unterstützung der Türkei für Somalia wird auf über eine Milliarde US-Dollar geschätzt. Medienberichte in der Türkei deuten jedoch darauf hin, dass ein Teil der Mittel an regierungsnahe Unternehmen fließen könnte.
Internationale Reaktionen und sicherheitspolitische Bedenken
Die Aktivitäten der Türkei riefen internationale Beobachter auf den Plan. 2022 dokumentierten UN-Ermittler die Lieferung bewaffneter Drohnen an Somalia ohne entsprechende Zustimmung im Rahmen bestehender Sanktionen. Zudem wurden energie- und verteidigungspolitische Abkommen bekannt, die der Türkei umfangreiche wirtschaftliche und operative Vorteile einräumen. Ein im April 2025 im türkischen Parlament eingereichter Erdöl- und Gasvertrag bietet Einblicke in die strategische Ausrichtung der Partnerschaft und hebt die tiefe Verzahnung beider Länder hervor.