Deutsche Kolonialvergangenheit und ihre Auswirkungen auf die Außenpolitik

In einer Anhörung des Bundestags im Oktober 2024 beschäftigten sich Experten eingehend mit den Folgen der deutschen Kolonialvergangenheit für die heutige Außenpolitik.

Winfried Speitkamp, Historiker und Staatssekretär in Thüringen, beleuchtete in seinem Beitrag die extreme Gewalt, die Deutschland während seiner Kolonialzeit ausübte. Besonders in den ehemaligen Kolonien Namibia und Tansania kam es zu sogenannten „genozidalen Exzessen“, die weit über das hinausgingen, was international als akzeptable Kriegsführung galt.

Wie funktioniert eine Außenpolitik mit Kolonialvergangenheit?

Speitkamp sprach von einer „Politik der verbrannten Erde“, die sich durch willkürliche Gewalt und Kriegsführung auszeichnete und tief in das kollektive Gedächtnis der betroffenen Länder eingebrannt ist.

Diese traumatische Erfahrung, so Speitkamp, beeinflusst bis heute die deutsch-afrikanischen Beziehungen. Besonders betonte er, dass die deutsche Außenpolitik auf die Nachwirkungen dieser Geschichte eingehen müsse, da sie immer noch in lokalen und familiären Erinnerungen Afrikas lebendig sei.

US-Professor gegen “Kultur der Schuld”

Ein weiteres zentrales Thema der Anhörung war die Frage, wie Deutschland diese historische Verantwortung politisch und diplomatisch integrieren sollte. Bruce Gilley, Professor an der Portland State University, bot eine völlig konträre Perspektive zu Speitkamp.

In seiner Stellungnahme stellte Gilley die Berliner Konferenz von 1884-85 in den Mittelpunkt, bei der europäische Kolonialmächte, darunter auch Deutschland, ihre kolonialen „Missionen“ als zivilisatorische Projekte darstellten. Gilley behauptete, dass diese Konferenz eine Grundlage für die „höchsten Ideale“ der Kolonialpolitik legte und kritisierte die heutige Tendenz, den Kolonialismus ausschließlich in negativen Kategorien zu betrachten.

Er betonte, dass Deutschland anstelle einer „Kultur der Schuld“ auf eine selbstbewusste Außenpolitik setzen sollte, die nicht nur Reparationszahlungen und Entwicklungshilfe in den Vordergrund stellt, sondern den Schwerpunkt auf wirtschaftliche und diplomatische Zusammenarbeit legt.

Diese diametral entgegengesetzten Ansätze verdeutlichen die Spannungen innerhalb der deutschen Diskussion zur Kolonialvergangenheit. Während Speitkamp für eine vertiefte historische Aufarbeitung und Wiedergutmachung plädierte, die den Opfern der Kolonialverbrechen gerecht wird, argumentierte Gilley, dass diese Perspektive die wirtschaftliche Entwicklung und die politischen Ziele Deutschlands im 21. Jahrhundert behindere.

Außenpolitik zwischen Erinnerungskultur und politische Realität

In Bezug auf die Erinnerungskultur wies Tanja Mancheno, Wissenschaftlerin an der Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe“, auf die wichtige Rolle der Zivilgesellschaft hin. Sie betonte, dass die Diskussion um die koloniale Vergangenheit nicht nur von politischen Institutionen oder Universitäten geführt werde, sondern in erster Linie von der Zivilgesellschaft vorangetrieben wird. Mancheno verglich die Aufarbeitung der Kolonialvergangenheit mit der Auseinandersetzung Deutschlands mit dem Nationalsozialismus und betonte, dass die Bedeutung der Kolonialgeschichte für die deutsche Identität und Außenpolitik nicht mehr verhandelbar sei.

Sie stellte fest, dass die Impulse für eine kritische Auseinandersetzung oft nicht von der Regierung ausgehen, sondern von zivilgesellschaftlichen Akteuren, die eine nachhaltige Erinnerungskultur anstreben.

Aram Ziai, Leiter des Fachgebiets Entwicklungspolitik und Postkoloniale Studien an der Universität Kassel, lenkte den Blick auf die wirtschaftlichen Ungerechtigkeiten des Kolonialismus. Er führte aus, dass die Kolonialzeit einen massiven Reichtumstransfer von Süd nach Nord ermöglichte, der die Industrialisierung in Europa förderte.

Diese Ausbeutung, so Ziai, setze sich bis heute fort, nicht zuletzt durch den Schuldendienst, der arme Länder weiterhin in wirtschaftlicher Abhängigkeit halte. Jährlich würden rund 1.500 Milliarden US-Dollar von Entwicklungsländern an reichere Staaten fließen. Ziai plädierte für ein internationales Staateninsolvenzverfahren, um die Dominanz der Gläubiger zu brechen und eine gerechtere Wirtschaftsordnung zu schaffen.

Die Rolle Deutschlands in Afrika: Zukunftsperspektiven

Stefan Friedrich, Leiter der Abteilung Subsahara-Afrika der Konrad-Adenauer-Stiftung, argumentierte, dass eine kritische Aufarbeitung der Vergangenheit zwar notwendig sei, aber die aktuellen außenpolitischen Interessen nicht untergraben dürfe. Er wies darauf hin, dass der Kolonialismus-Vorwurf von Ländern wie Russland und China im Rahmen von Desinformationskampagnen gezielt genutzt werde, um westliche Interessen in Afrika zu untergraben.

„Wir dürfen nicht naiv sein“, so Friedrich. Als Beispiel nannte er die Reaktion nigerianischer Partner auf die Rückgabe der Benin-Bronzen, bei der eine Delegation von 90 Personen die Vergangenheit würdigte, ohne die gegenwärtige wirtschaftliche Zusammenarbeit voranzutreiben.

Diese Diskussionen zeigen, dass die Vergangenheit nach wie vor eine zentrale Rolle in der Gestaltung der heutigen deutsch-afrikanischen Beziehungen spielt. Während einige Experten für eine intensivierte Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Kolonialzeit plädierten, forderten andere eine pragmatischere Herangehensweise, die die zukünftigen wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen in den Vordergrund stellt.

Verwandte Beiträge
Total
0
Share