Mehr als ein Jahrhundert nach der Ausgrabung der bedeutendsten Dinosaurierfossilien Afrikas erhebt sich in Tansania erneut eine Debatte über Restitution, wirtschaftliche Teilhabe und historische Gerechtigkeit. Im Zentrum steht der Fundort Tendeguru in der Region Lindi – eine der weltweit reichsten Fossilienlagerstätten, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts von deutschen Forschern entdeckt und vollständig nach Berlin gebracht wurde.
Die ehemalige Parlamentsabgeordnete und Umweltaktivistin Riziki Saidi Lulida fordert eine offizielle Wiedergutmachung oder zumindest eine partnerschaftliche Beteiligung Deutschlands an der touristischen und wissenschaftlichen Entwicklung des Fundorts.
„Deutschland hat ein Museum gebaut und profitiert von unseren Fossilien. Aber Tendeguru hat keine Straßen, kein sauberes Wasser, keine Schulen. Das ist Ungerechtigkeit“, sagte Lulida bei einem Treffen in Lindi.
Koloniale Grabungen und ihr Erbe
Zwischen 1906 und 1913 führten die deutschen Paläontologen Werner Janensch und Eberhard Fraas großangelegte Ausgrabungen im damaligen Deutsch-Ostafrika durch. Tausende Fossilien – darunter das Skelett des später als Giraffatitan brancai bekannten Brachiosaurus – wurden geborgen und nach Deutschland verschifft.

Heute bilden diese Funde das Herzstück des Museums für Naturkunde in Berlin, das jährlich Hunderttausende Besucher anzieht. Der ursprüngliche Fundort in Südosttansania hingegen liegt brach und ist kaum erschlossen.
Lulida verweist auf die historische Verantwortung Deutschlands und zieht Parallelen zum Umgang mit kolonialem Unrecht in anderen Ländern:
„Deutschland hat in Namibia seine Schuld anerkannt. Warum nicht auch gegenüber Tansania, dessen Naturreichtümer entwendet wurden?“
Forderung nach wirtschaftlicher Teilhabe
Während die tansanische Regierung bislang keinen offiziellen Anspruch auf Rückgabe der Fossilien erhoben hat, wächst in Lindi der Druck, zumindest Erlöse zu teilen oder Entwicklungsprojekte zu finanzieren. Lulida spricht von einem Prinzip der Gerechtigkeit:
„Wenn Deutschland die Fossilien nicht zurückgeben kann, soll es wenigstens die Einnahmen teilen und die Region unterstützen. Wir fordern keine Almosen, sondern Partnerschaft.“
Die betroffenen Dörfer – Matapwa, Mpingo, Mnyangara und Mangaranganda – leben in Armut, obwohl sie auf einem der wichtigsten paläontologischen Orte Afrikas liegen. „Nicht ein einziger Cent kehrt zu uns zurück“, sagt Lulida.
Umweltaktivismus und kulturelles Erbe
Bekannt unter dem Spitznamen „Mama Selous“, engagiert sich Lulida seit Jahren für Naturschutz und nachhaltige Entwicklung in Tansania. Ihr Aktivismus begann nach einer Reise nach Deutschland Ende der 2000er-Jahre, als sie als Mitglied einer Delegation des Tanzania National Parks (TANAPA) die Fossilien in Berlin sah.
„Es war ein Moment des Erwachens“, erinnert sie sich. Nach ihrer Rückkehr initiierte sie Kampagnen zur Anerkennung von Tendeguru als Natur- und Kulturerbestätte und gründete die Tendeguru Wildlife Conservation Initiative.
Unterstützung erhielt sie unter anderem von der Primatenforscherin Dr. Jane Goodall, die ihre Arbeit in Lindi öffentlich befürwortete.
Konflikte zwischen Mensch und Natur
Neben den Restitutionsforderungen lenkt Lulida die Aufmerksamkeit auf ökologische Probleme der Region. Große Teile des einst artenreichen Tendeguru-Waldes seien gerodet, Wildtierkorridore zerstört und Konflikte zwischen Menschen und Tieren hätten zugenommen.
„Wenn Elefanten ihre Wanderwege verlieren, dringen sie in Felder ein. Der Konflikt ist menschengemacht“, erklärt sie.
Sie plädiert für gemeinsame Naturschutzprojekte zwischen Deutschland und Tansania, um Lebensräume zu schützen und den ökologischen wie touristischen Wert der Region zu sichern.
Zwischen Wissenschaft und Gerechtigkeit
Fachleute betonen, dass die Tendeguru-Fossilien die weltweite Forschung über die Jurazeit revolutioniert haben. Für viele Tansanier jedoch symbolisieren sie koloniale Ausbeutung – ein Kapitel, in dem afrikanische Arbeitskraft und Bodenschätze den Aufbau europäischer Institutionen ermöglichten, während die Ursprungsgemeinden leer ausgingen.
Das Museum für Naturkunde Berlin hat sich zu seiner kolonialen Sammlung bekannt und erklärt, für einen „Dialog über geteiltes Erbe“ offen zu sein. Doch bisher beschränken sich die Gespräche auf akademische Kooperationen, nicht auf Rückgabe oder Gewinnbeteiligung.
Für Lulida ist das unzureichend:
„Jedes Jahr fliegen Touristen nach Deutschland, um unsere Dinosaurier zu sehen. Warum nicht hierherkommen, um ihren Ursprung zu entdecken?“

Sie fordert, dass Deutschland Bildungs- und Umweltprogramme in Lindi finanziert oder Stipendien für tansanische Studierende in Paläontologie bereitstellt. „Das wäre wahre Wiedergutmachung“, sagt sie.
Eine Frage der Würde
Mit 60 Jahren weiß Lulida, dass sie die Ergebnisse ihres Engagements vielleicht nicht mehr erleben wird. Doch für sie geht es um mehr als Fossilien – es geht um Würde und Teilhabe.
„Tendeguru ist Teil unserer Geschichte. Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen, aus deren Land diese Schätze stammen, auch von ihnen profitieren.“