Äthiopien sperrt Deutsche Welle

Die äthiopische Medienaufsichtsbehörde (Ethiopian Media Authority, EMA) hat die Arbeit von neun lokalen Korrespondentinnen und Korrespondenten der Deutschen Welle (DW) in Äthiopien vorübergehend untersagt. In einem Schreiben an die DW-Redaktion vom 23. Oktober 2025 ordnete die Behörde die „temporäre Suspendierung aller journalistischen Tätigkeiten“ an, ohne konkrete Vorwürfe zu benennen. Stattdessen wird dem deutschen Auslandssender allgemein vorgeworfen, Bestimmungen des Mediengesetzes, darunter Regelungen gegen Hassrede und Falschinformationen, verletzt zu haben.

Arbeit der DW wird eingeschränkt

DW-Generaldirektorin Barbara Massing reagierte mit Besorgnis auf die Entscheidung: „Wir sind sehr besorgt über die Einschränkung unserer Berichterstattung in Äthiopien. Millionen von Menschen verlassen sich auf uns, um unabhängige Informationen zu erhalten. Wir erwarten, dass unsere Mitarbeitenden ihre Arbeit sofort und uneingeschränkt wieder aufnehmen können.“

Die betroffenen Journalistinnen und Journalisten haben ihre Tätigkeit bis auf Weiteres eingestellt. Die amharischsprachigen Programme der Deutschen Welle werden derweil aus Bonn und durch internationale Mitarbeitende weitergeführt. DW erreicht nach eigenen Angaben rund zehn Prozent der äthiopischen Bevölkerung über 14 Jahre.

Zunehmender Druck auf internationale Medien

Wie die Deutsche Welle erklärt, sind konkrete Belege für Verstöße bisher nicht vorgelegt worden. Die Anordnung fällt in eine Phase wachsender Restriktionen für in- und ausländische Medien kurz vor den Parlamentswahlen, die im Juni 2026 stattfinden sollen. Internationale Beobachter sehen in der Entscheidung eine Fortsetzung staatlicher Maßnahmen zur Kontrolle der öffentlichen Meinungsbildung.

Angela Quintal, Afrika-Programmleiterin des Committee to Protect Journalists (CPJ), bezeichnete die Suspendierung als „Akt der Zensur und Einschüchterung“. Sie warf den Behörden vor, Mediengesetze als Instrument zu missbrauchen, um kritische Berichterstattung zu unterbinden. „Die Regierung muss die Suspendierung sofort aufheben und das Recht der Öffentlichkeit auf Information respektieren“, forderte Quintal.

Verschlechterung der Pressefreiheit seit dem Tigray-Konflikt

Seit dem Ausbruch des bewaffneten Konflikts in der Region Tigray im Jahr 2020 hat sich die Lage für Medienschaffende in Äthiopien deutlich verschlechtert. Nach Angaben von Reporter ohne Grenzen (RSF) belegt das Land im aktuellen Pressefreiheitsindex Platz 145 von 180 Staaten. Willkürliche Festnahmen, Internetabschaltungen und restriktive Mediengesetze haben laut Beobachtern zu weitreichender Selbstzensur geführt.

Der RSF-Vertreter Sadibou Marong beschrieb die Situation als „besorgniserregend und problematisch“. Er verwies auf wiederholte Inhaftierungen von Journalistinnen und Journalisten, die ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten würden. „Das zeigt, wie weit die äthiopischen Behörden bereit sind zu gehen, um unabhängige Stimmen zu unterdrücken“, sagte Marong gegenüber DW.

Auch CPJ berichtet von zunehmenden Fällen, in denen Reporter unter dem Vorwurf der Förderung von Terrorismus oder der Verbreitung falscher Informationen verhaftet wurden. Seit 2018 sollen 30 Journalistinnen und Journalisten in Äthiopien inhaftiert worden sein.

Gesetzesverschärfungen und wachsende Kontrolle über Medienaufsicht

Im April 2025 hatte eine Änderung des Mediengesetzes die Befugnisse der Ethiopian Media Authority erweitert. Sie erlaubt der Behörde nun, Lizenzen von Medienhäusern zu entziehen, die gegen „ethische Standards“ verstoßen, und stärkt zugleich den direkten Einfluss der Regierung auf regulatorische Entscheidungen. Nach Einschätzung internationaler Organisationen verschärft diese Reform die politische Kontrolle über den Mediensektor.

Darüber hinaus wurde in den vergangenen Jahren eine Reihe von Gebühren eingeführt, die insbesondere internationale Sender bei der Ausstrahlung von Inhalten in Äthiopien finanziell belasten. Nach Angaben von RSF wurden 2023 bereits 15 ausländische Fernsehsender suspendiert.

Internationale Dimension: Druck auf Medienschaffende im Exil

Neben Einschränkungen im Inland berichten Menschenrechtsorganisationen über Fälle transnationaler Repression. Laut Ethiopia Observer soll eine äthiopische Regierungsdelegation während eines Besuchs in Frankreich im August 2025 die „Auslieferung“ zweier in Europa lebender Journalisten beantragt haben. Beide – Abebe Bayu und Yayesew Shimelis – waren zuvor in Äthiopien mehrfach festgenommen worden, bevor sie ins Exil gingen.

Angela Quintal vom CPJ sprach in diesem Zusammenhang von einem „besorgniserregenden Übergriff über Landesgrenzen hinweg“, der gegen internationale Menschenrechtsverpflichtungen Äthiopiens verstoße. Auch in anderen EU-Staaten sowie in Südafrika, Kenia und Uganda seien ähnliche Einschüchterungsversuche dokumentiert worden.

Marong betonte, dass diese Praxis ein „neues, außerordentlich bedenkliches Muster“ darstelle: „Die äthiopische Diaspora bleibt oft unabhängig und frei in ihrer Berichterstattung. Die Regierung sieht darin offenbar eine Bedrohung und versucht, diese Stimmen auch außerhalb ihrer Grenzen zu kontrollieren.“

Politischer Kontext: Medienfreiheit vor den Wahlen 2026

Mit Blick auf die für Juni 2026 geplanten Parlamentswahlen warnen Beobachter vor einer weiteren Einschränkung des Informationsraums. Nach einer Phase relativer Öffnung unter Premierminister Abiy Ahmed nach 2018, in der Verleumdungsgesetze reformiert und journalistische Quellen besser geschützt wurden, hat sich das Umfeld für Medienschaffende wieder verschlechtert.

Sadibou Marong fasst die aktuelle Entwicklung so zusammen: „Es gibt eine systematische Bewegung, das öffentliche und zivile Kommunikationsfeld zu kontrollieren und die politische Erzählung allein von Regierungsseite zu bestimmen.“

Laut DW und RSF markiert die Suspendierung der Korrespondenten einen weiteren Rückschritt für die Pressefreiheit in einem Land, das als einer der wichtigsten politischen Akteure Ostafrikas gilt.

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